Mittwoch, 6. Januar 2016

Auch die EZB hat Schuld an dem Desaster

Für Nicolai Hagedorn ist die Kritik von Blockupy an dem Finanzinstitut in Frankfurt am Main gerechtfertigt


Trifft die Kritik der Blockupy-Aktivisten an der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht zu, wie viele Kommentatoren nach dem Aktionstag in Frankfurt zu bedenken gaben? Für »taz«-Chefredakteurin Ines Pohl beispielsweise ist der Fall klar. Für sie ist die EZB »das falsche Ziel. Denn sie hat in den vergangenen Jahren wenig falsch und viel richtig gemacht.« Und Jan Seidel aus dem ARD-Hauptstadtstudio assistiert: »Die EZB flutet gerade die Märkte mit Geld und senkt die Zinsen, damit sich unsere mehr oder weniger revolutionären Freunde in allen Teilen Europas billig finanzieren können und erst einmal nicht so dringend sparen müssen! Was - bitte - soll daran falsch sein?«

Dabei ist bereits die Frage falsch gestellt, denn die eine Blockupy-Kritik gibt es nicht. So ist die EZB für das an der Organisation von Blockupy direkt beteiligte kommunistische »Ums Ganze«-Bündnis »ein wesentlicher Pfeiler des Politischen in der politischen Ökonomie des europäischen Kapitalismus«. Die Zentralbank stütze das Austeritätsregime, »und selbst wenn die EZB ihren Kurs irgendwann zugunsten der ärmeren EU-Länder ändern würde«, so der Demoaufruf der Gruppe, »wäre dies noch längst nicht das Ende des kapitalistischen Imperativs einer so endlosen wie irren Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Im Gegenteil. Die EZB wäre auch dann immer noch eine der wesentlichen Stützen kapitalistischer Staatspolitik in Europa, nur eben einer anderen, sozialdemokratischen, deren ›Erfolg‹ sich - mit den bekannten Kollateralschäden - ebenso auf dem Weltmarkt beweisen muss. Ein gutes Leben für alle ist nur zu haben, wenn dieser Pfeiler zerschlagen wird.«

Ganz anders klingt die Kritik des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac oder der Linkspartei, die ebenfalls bei Blockupy vertreten sind. Sahra Wagenknecht (LINKE), die als Rednerin auf dem Frankfurter Römer auftrat, geißelte die Erpressung insbesondere Griechenlands durch die EZB. Und auch dieses weniger radikale Argument, das mehr auf eine veränderte Politik als auf eine Revolution abzielt, ist kaum von der Hand zu weisen. Zwar verkündete EZB-Chef Mario Draghi Anfang März ein milliardenschweres Aufkaufprogramm europäischer Staatsanleihen, jedoch mit dem Hinweis, Griechenland sei davon ausgenommen, solange es keine überprüfbaren Reformschritte unternehme. Was selbstverständlich auch als Warnung etwa an Spanien zu verstehen ist, wo der Widerstand in Form der linken Partei Podemos ebenfalls Chancen auf baldige Machtübernahme hat.

Im Übrigen sind die Programme der EZB selbst unter Ökonomen umstritten und können seriös kaum unter »Alles richtig gemacht« eingeordnet werden. Tatsächlich haben die Maßnahmen der Troika aus EZB, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission - und damit die angeblich notwendigen sozialen Verheerungen - bei weitem nicht die erhoffte Wirkung erbracht. Die Schulden der südeuropäischen Krisenstaaten sind weiter gewachsen, die ökonomischen Kennziffern und die Arbeitslosenquoten haben sich, wenn überhaupt, kaum erholt, die ökonomischen Ungleichgewichte innerhalb des europäischen Währungsraums haben sich eher vergrößert und nach wie vor profitiert von alldem fast ausschließlich die deutsche Wirtschaft, neuerdings noch zusätzlich von dem durch die EZB-Politik geschwächten Euro.

Es gibt sicher viel an Blockupy zu kritisieren. Beispielsweise, dass die antikapitalistischen Gruppen ihre spektakulären Aktionen nicht mit einer nachvollziehbaren politischen Botschaft verbinden, obwohl eine antikapitalistische Perspektive für die europäische Südperipherie, die über die Politik der Linksparteien hinausgehen würde, vielleicht gar nicht so abwegig ist. Den Beteiligten aber vorzuwerfen, sie hätten sich mit der EZB irgendwie in der Anschrift vertan, ist eher intellektueller Trägheit saturierter Kommentatoren geschuldet als den tatsächlichen Verhältnissen. Und die sind gerade in Griechenland nicht hinnehmbar - woran das Finanzinstitut in Frankfurt am Main einen wesentlichen Anteil hat.

Erschienen in Neues-Deutschland vom 28.3.2015

Ach, und noch was, »Focus online«!

Wenn Du mit Deiner Überschrift »MH17: Beide Seiten geben sich die Schuld« recht hättest, wo wäre da eigentlich das Problem?

Gibt sich die Kante:

Titanic

Erschienen in Titanic 11/2015

Schon gut, »Focus online«-Redakteure!

»Orgasmus durch Pilz – Stinkmorchel bringt Frauen zum Höhepunkt«, so überschriebt Ihr in der Rubrik »Wissen« einen Artikel zu angeblichen Forschungsergebnissen aus den USA. Abgelegt war der Artikel unter der triumphierenden Internetadresse www.focus.de/wissen/natur/wie-geil-ist-das-bitte-orgasmus-alarm-frauen-riechen-an-seltenem-phallus-pilz-und-bekommen-hoehepunkt_id_5010807.html. Die freudige Erregung, Focus-Redakteure, sei Euch herzlich gegönnt, auch wenn hier wohl eher der Wunsch Vater von Überschrift und Adresse gewesen sein dürfte. Oder diktiert Euch so was immer noch der Markwort?

Fragen leicht angewidert Eure stets wohlriechenden Frauenflüsterer von

Titanic

Erschienen in Titanic 11/2015

Klick klick, Pottwale!

Ihr kommuniziert über Klicklaute, und dabei entwickeln sich »komplexe Sozialstrukturen auf ähnliche Weise wie die unterschiedlichen Kulturen beim Menschen«, wie wir der Süddeutschen Zeitung entnehmen. Eine aktuelle Studie der kanadischen Dalhousie University kommt nämlich zu der Erkenntnis, daß Ihr »in größeren Gemeinschaften« zusammenlebt, die wohl nicht zufällig entstünden: »Statt dessen lernen die Wale vor allem dann die Klick-Muster ihrer Artgenossen, wenn diese sich ähnlich wie sie selbst verhalten – ganz nach dem Motto ›gleich und gleich gesellt sich gern‹.«

Wir haben zwar keine Ahnung, wie, Pottwale, aber Ihr scheint da unten wohl an Facebook gekommen zu sein. Und wo Ihr schon dabei seid, könntet Ihr doch auch mal etwas Vernünftiges liken, zum Beispiel

Titanic

Erschienen in Titanic 10/2015

Dienstag, 5. Januar 2016

Umsichtige Durchsagerin am Frankfurter Hauptbahnhof!

Kürzlich, als Dutzende Hilfsbereite in Deinen Zuständigkeitsbereich strömten und ihn mit ihren Körpern sowie ganzen Depots an Hilfsgütern verstopften, um für die ankommenden Flüchtlinge unter Gejohle und Applaus alsbald ein Spalier zu bilden, auf daß diese auch den Weg zum Anschlußzug Richtung Erstaufnahmeeinrichtung in Dortmund fänden, sprachst Du den unendlich weisen und in seiner Geistesgegenwart wohl einmaligen Satz: »Liebe Flüchtlingshelfer, bitte halten Sie die Durchgangs- und Fluchtwege frei!«

Und wer hielt sich daran?

Natürlich wieder nur

Titanic

Erschienen in Titanic 10/2015

Heda, Straubinger Max!

Du bist Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag und erklärtest gegenüber dem sog. Redaktionsnetzwerk Deutschland, man solle auch syrische Flüchtlinge wieder zurückschicken: »Nicht überall in Syrien wird gekämpft. Aleppo ist nicht Damaskus.« Außerdem gebe es auch in Syrien Regionen, in denen man leben könne.

Schon richtig, es kursieren ja sogar vereinzelt Gerüchte, wonach es selbst in Bayern Regionen gibt, in denen man leben kann (Tirol). Aber warum bist Du, Straubinger Max, dann eigentlich nach Berlin geflohen?

Fordert Deine sofortige Abschiebung:

Titanic

Erschienen in Titanic 10/2015

Sie, sehr weiser Wirtschaftsweiser Prof. Dr. Lars Feld,

gaben der Online-Ausgabe der FAZ ein Interview zur Zukunft der Arbeit: »Die zunehmende Digitalisierung wird dafür sorgen, daß man in der Arbeitswelt noch flexibler sein muß als heute. Wir werden uns auf ganz flexible Strukturen einstellen müssen. Das bedeutet einmal für den Arbeitnehmer selber, daß er in der Lage sein muß, ganz unterschiedliche Bereiche flexibel zu bedienen. Das heißt auf der anderen Seite, daß die Firmen flexibel genug sein müssen, um auf Veränderungen zu reagieren. Das heißt, man wird sich auch Gedanken machen müssen, ob die Rahmenbedingungen, die wir heute setzen für die Unternehmen, unter der Arbeit 4.0 noch adäquat sind, oder ob man nicht doch noch etwas flexibler werden muß, als wir heute sind.« Sagen Sie mal, Feld, wen haben Sie bei so viel Flexibilität eigentlich vor Augen? Inspector Gadget? Oder doch eher Ihr Lieblings-YoupornGirl, das Fist Flush Flexible Hottie?

Fragt im Spagat:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 09/2015

Über Sie, Frau Bundeskanzlerin,

lasen wir bei n-tv.de: »Merkel stemmt sich gegen Sterbehilfe.« Nun wissen wir zwar nicht, wer genau Ihnen da auf den Sprung helfen wollte, aber was wäre an einem zügigen und letzten Endes ohnehin alternativlosen Übertritt so schlecht? Wer weiß denn schon, in welchen Dimensionen das Jenseits über seine Verhältnisse gelebt hat und also eine Austeritätsfachkraft wie Sie dringend benötigt? Und wieso nicht diesen Schäuble gleich mitnehmen? Na, was sagen Sie? Da sieht die Sache doch gleich anders aus, was?

Bißchen ungeduldig:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 08/2015

In Rage, Sexualforscher Volkmar Sigusch,

redeten Sie sich im SZ-Magazin ob »unserer mißlungenen Sexualkultur«, und Sie konstatierten: »Geschlechtsverkehr ist bei uns immer noch: rein, raus, fertig. Es ist ein Trauerspiel.« Allerdings seien »unter uns« auch »sogenannte Feeder, die ihre Freundin mästen, Objektophile, die sich in ein Auto verlieben, und Kultursodomiten, die nur mit einem Hund oder einer Katze zusammenleben«. Mehr noch: »Den einen erregt die Kleidung des anderen Geschlechts oder ein Tier, den anderen Nasenschleim oder das Fehlen eines Beines.« Und es gebe eben auch »Paare, denen es gelingt, Begehren und Liebe für längere Zeit zusammenzuführen, indem sie eine solche Vorliebe in ihr Sexualleben integrieren.«

Nach kurzem Grübeln, wen genau Sie, Prof. Sigusch, denn mit »uns« meinen könnten, dämmerte es: In Frage kommen da eigentlich nur die in glücklichen Liebesbeziehungen lebenden, dabei ihre einbeinigen Freundinnen mit Nasenschleim mästenden Tier- und Autoliebhaber in Frauenkleidern von

Titanic

Erschienen in Titanic 07/2015

Und Du, Sportredaktion der »Frankfurter Rundschau«,

freutest Dich sichtlich über einen Neuzugang des lokalen Bundesligaklubs. Dieser stehe »stellvertretend für den Typus Spieler, den die Eintracht sucht. Bodenständig, solide, deutsch, klar im Kopf«. Ein solider Muttersprachler, der einigermaßen klar im Kopf ist: könnte das nicht auch eine immense Verstärkung für die Sportredaktion, ach was, für die Frankfurter Rundschau insgesamt sein? Sollte sich da der Chefredakteur nicht einmal auf dem Transfermarkt umsehen?

Findet, nach kurzer Durchsicht Deiner aktuellen Ausgabe, schon:

Titanic

Erschienen in Titanic 07/2015

Und Du, Genosse Gabriel,

kritisiertest den Streik der Lokomotivführer »scharf«, wie wir den Medien entnahmen. Scharfe Kritik an Arbeitskämpfen? Aus der SPD? Was ist eigentlich aus Dir, Gabriel, und Deiner Partei geworden? Früher, beim Noske, ging es noch mit Auftragskillern gegen Liebknecht und Luxemburg und mit Freikorps und Gemetzel gegen diese Spartakus-Loser. Später, beim Schröder, dann immerhin noch mit Arbeitsmarktreformen und Gedöns gegen die Unterschicht. Denk Dir also etwas Spektakuläreres aus, Gabriel. Wenn Du Dich zum Beispiel einfach einmal auf diesen Weselsky draufsetzen würdest?

Auf, auf zum Kampf, fordert

Titanic

Erschienen in Titanic 06/2015

Thomas Roth (Tagesthemen)!

Zu den ertrinkenden Flüchtlingen im Mittelmeer fiel Ihnen in einer Anmoderation ein: »Bei schönem Frühjahrswetter wird die Zahl der Flüchtlinge wohl weiter ansteigen, denn offenbar hält kein Risiko die Afrikaner vom Traumziel Europa ab.« So stellt man sich das also in einem Tagesthemenmoderatorenköpfchen vor: Diese Afrikaner sitzen in ihren Lehmhütten, bis einer sagt: »Laß uns doch dieses Jahr nach Europa schippern, da wollte ich immer schon mal hin!« In Wahrheit aber, das weiß doch jeder, kommen die alle nur wegen der traumhaften Nachrichtensendungen hierher, also auch ein kleines bißchen, Thomas Roth, Ihretwegen. Bitte keine falsche Bescheidenheit.

Es grüßt bei bestem Frühjahrswetter aus dem Traumziel Frankfurt:

Titanic

Erschienen in Titanic 06/2015

Du, Internetportal Heilpraxisnet.de,

versuchst potentielle Leser für gewöhnlich mit Hammerüberschriften wie »Milchhaut kann durch ständiges Rühren verhindert werden« oder »Augenkrankheiten kommen im Alter« zu begeistern. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber wenn Du Dich jetzt in die große Politik einmischen willst (»Neurochirurg: Der Kopf eines sehr kranken Menschen soll transplantiert werden«), ein kleiner, aber sehr ernstgemeinter Rat: Den Bouffier überläßt Du besser uns,

Deinen Heilpraktikern von

Titanic

Erschienen in Titanic 06/2015

Sie, US-amerikanischer Finanzguru John Mauldin,

antworteten im Schweizer Wirtschaftsmagazin Finanz und Wirtschaft auf die Frage, was Sie am meisten an der aktuellen Finanzwelt beunruhige: »Die Krisenherde sind China, Japan, Europa, die USA und die Schwellenländer, die wegen ihrer hohen Dollarverschuldung unter dem stärker werdenden Greenback leiden werden.«

Krisenalarm in China, Japan, Europa, den USA und den Schwellenländern? Es scheint ja gut zu laufen beim Kapitalismus!

Bleibt, bis alles vorbei ist, im Bett:

Titanic

Erschienen in Titanic 05/2015

Mit Freude hingegen, Firma Rügenwalder Mühle,

lasen wir anläßlich Deines Einstiegs in den Markt vegetarischer Produkte bei »Spiegel online« die Prophezeiung Deines Firmenchefs Rauffus: »Die Wurst ist die Zigarette der Zukunft.« Aber nur die von Dir, nehmen wir an, halten schon einmal Ausschau nach dem ersten Hipster mit Wiener zwischen Zeige- und Mittelfinger und gehen direkt selbst eine Packung Rügenwalder Zwiebelmettwurst durchziehen – natürlich auf dem Balkon, wegen des Geruchs.

Jetzt schon süchtig: die Industriewurstgourmets von

Titanic

Erschienen in Titanic 05/2015

Sonntag, 15. März 2015

Na na, Tote Hosen!

Da ist Euer Manager Jochen Hülder »nach längerer schwerer Krankheit« gestorben, wie Ihr auf Eurer Homepage mitteilt, und fix erklärt Ihr dortselbst: »Ohne ihn wären Die Toten Hosen niemals geworden, was sie heute sind.« Aber hört mal, Campino, Kuddel, Breiti, Andi und Vom Ritchie: Wie unfair ist das denn, alles dem toten Freund in die Hosen, Quatsch, die Schuhe zu schieben!

Schämt sich für Euch:

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 03/2015

Hallihallo, Peter Maffay!

Im Interview mit »Merkur-Online« haben Sie erklärt, wie es mit Ihrem Kinderdrachen »Tabaluga« weitergehen soll: »Alle Einnahmen aus ›Tabaluga‹ gehen in meine Stiftung, die etwa 1200 traumatisierte Kinder pro Jahr unterstützt. Die Stiftung braucht im Jahr gut eine Million Euro. Dafür muß ›Tabaluga‹ arbeiten – mit Platten, einem Film, mit Merchandising und anderem.«

Schon gut, Maffay, aber wäre es nicht sinnvoller, diese vielen Kinder gar nicht erst zu traumatisieren? Zum Beispiel, indem man sie nicht mit Ihnen und Ihrem albernen Drachen konfrontiert?

Ach, jetzt haben wir die ganze schöne Geschäftsidee verraten?

Entschuldigt sich kein bißchen:

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 02/2015

Körpererfahrung

Es ist immer wieder erstaunlich, welche Geräusche der menschliche Körper hervorbringen kann; man muß nur gelegentlich in sich hineinhören, Beispiel Mund: Ein grandioses, so nie gehörtes Geschmatze bietet sich dem, der sich In-Ear-Kopfhörer tief in den Gehörgang steckt, ohne jedoch Musik oder sonstigen Lärm einzuschalten, und dabei etwas möglichst Matschiges, etwa einen Big Mac oder einen weichen Cookie verspeist. Zusatztip: Wenn man während des Einführens der kleinen Hörer den Mund weit aufreißt, kann man sie zwischen Ober- und Unterkieferknochen einklemmen.

Erschienen in Titanic-Magazin 01/2015

Ihr, Politiker,

könnt aber auch nie etwas richtig machen! Da entnahmen wir n-tv.de die Meldung, wonach Ihr »gefährliche Tiere verbieten« wollt, und dachten sofort an elende Stechmücken, Köter auf dem Fahrradweg und Matthias Sammer. Statt dessen aber bereitet Ihr einen Angriff auf genau das schützenswerte Getier vor, das vorgenannte Plagen zu beseitigen imstande ist, nämlich »Skorpione, Schlangen und Spinnen«. Wie konnte das denn wieder passieren?

Wenn Ihr so weitermacht, verliert langsam wirklich die Geduld mit Euch:

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 12/2014

Als Sie, Wolfgang Pohrt,

im Konkret-Gespräch mit Hermann Gremliza auf dessen Spekulation, wonach Sie und er eventuell »doch einmal zusammen« losgehen könnten, und zwar »mit einer Kalaschnikow im Arm«, als Sie darauf also mit »Wir beide nicht mehr. Das schaffen wir nicht« antworteten, da kamen vor Rührung beinahe die Tränen:

Ihrer guten alten

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 12/2014

Willkommen auf Deutsch (Rezension)

Regie: Carsten Rau/Hauke Wendler; Deutschland 2014 (Brown Sugar Films); 93 Minuten; ab 12. März im Kino

Das 400-Seelen-Dorf Appel hat ein Problem. Das ehemalige Altenheim im Ort soll zu einer Asylbewerberunterkunft umgebaut werden. Es bildet sich eine Bürgerinitiative, deren Anführer kaum verblümt mit Gewalt droht, sollten tatsächlich »53 Asylanten« einziehen. Einige Mütter sehen ihre minderjährigen Töchter durch »männliche Bedürfnisse« der Fremden bedroht, und dem Vertreter des Landkreises, der die neue Flüchtlingsunterkunft geplant hat, wird mitgeteilt, er solle »seine Neger« wieder mitnehmen. Schließlich schlagen die Anwohner vor, immerhin elf Flüchtlinge in der örtlichen Pension unterzubringen und setzen sich damit durch. Der vierschrötige Wirt bekommt nicht nur die elf Asylbewerber in sein Deutsches Haus, sondern auch die Aufgabe aufgebrummt, sie zu »unterstützen«. Sechs Wochen später brät er Schnitzel mit seinen Schützlingen und feixt: »Ich muss ganz ehrlich sagen: Das Zusammenleben ist gut.« Deutsche Willkommenskulturentbehrt nicht einer gewissen Komik.

Die Regisseure Hauke Wendler und Carsten Rau kommen ihren Figuren nahe, ohne ihnen zu nahezutreten. Sie dokumentieren die Vorgänge in zwei Dörfern im Landkreis Harburg, deren Bewohner sich zwischen Empathie und Ressentiment, Hilfsbereitschaft und Rassismus plötzlich konkret zu angekündigten beziehungsweise bereits eingetroffenen Flüchtlingen verhalten müssen. Und sie zeigen die Neuankömmlinge, die vor lauter Aufregung, Sorgen und Hoffnung gar keine Zeit haben, böse Pläne gegen ihre Gastgeber zu schmieden.

In aller Ruhe und ohne Parteinahme werden die Hilfsbedürftigen den Vorurteilen der deutschen Kleinbürger gegenübergestellt, so dass man sich manchmal fragt, wer eigentlich die erbarmungswürdigeren Gestalten sind: die Verdammten dieser Erde oder diejenigen, die ihnen vor Angst und Wut kein ehemaliges Altenheim gönnen. Indem der Film die Ängste der Angsthaber ernst nimmt, zeigt er, dass sie nicht ernst zu nehmen sind.

Es gibt aber auch die anderen: entschlossene Rentnerinnen, die Deutschkurse geben und Kinder betreuen, Kirchenvertreter, die sich um Kontakte zwischen Flüchtlingen und Anwohnern bemühen, oder den Landkreisbürokraten, der so pedantisch wie rührend Unterkünfte organisiert. Diese 90 Minuten filmgewordene Widersprüchlichkeit sozialer Aushandlungsprozesse sind so aufschlussreich und kurzweilig, dass man sich beim Abspann fragt, wo die Zeit geblieben ist.
Erschienen in konkret 03/2015

Fragwürdige Erfolge

Jubel über deutsche Wirtschaft ignoriert Konsequenzen und Warnsignale

Die Aktienmärkte boomen und die deutsche Wirtschaftspolitik lässt sich für staatliche Überschüsse feiern. Indes sendet die wirtschaftliche Entwicklung auch Warnzeichen. So viel zu jubeln gibt es gar nicht.


Während der Deutsche Aktienindex (DAX) in den vergangenen Tagen immer neue Höchststände erklommen hat, die Konjunkturpropheten von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) bis zum Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo steigende Zuversicht in die wirtschaftliche Robustheit der deutschen Industrie messen und das Statistische Bundesamt einen Überschuss des Gesamtstaates von 18 Milliarden Euro im Jahr 2014 verkündet, bleibt fraglich, woher die offenbar grenzenlose Zuversicht eigentlich kommt.

Wenn etwa die Ökonomen des GfK-Index zu dem Ergebnis kommen, die Konsumlaune der Deutschen sei so gut wie seit 13 Jahren nicht, bringt ein Blick auf die Einzelhandelsumsätze schnell Ernüchterung. Diese waren auch im Jahr 2014 niedriger als Anfang der 1990er Jahre und auch der angebliche Konsumrausch fiel im Dezember 2014 mit einem Anstieg der Umsätze von gerade einmal 0,2 Prozent zum Vorjahr wieder einmal aus.

Die Überschüsse bei den Steuereinnahmen resultieren in erster Linie aus gestiegenen Massensteuereinnahmen und auch 2014 rückläufigen Staatsinvestitionen. Der Sparkurs der Bundesregierung zeitigt zwar die versprochenen Überschüsse, allerdings auf Kosten eines Investitionsstaus, der unter anderem dazu geführt hat, dass laut Einschätzung des TÜV-Bauexperten Günther Jost mittlerweile rund 50 Prozent der deutschen Brücken sanierungsbedürftig sind. Das im vergangenen Jahr von Verkehrsminister Alexander Dobrindt aufgelegte Sonderprogramm zur Brückensanierung reicht dagegen nur für bescheidene 78 Brücken, wie die »Welt am Sonntag« im September berichtete.

Auch die Entwicklung am viel bejubelten deutschen Arbeitsmarkt ist eher ernüchternd. Seit Anfang der 1990er Jahre gingen in Deutschland rund 14 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen verloren, während die Beschäftigung in Teilzeit im gleichen Zeitraum um sagenhafte 120 Prozent angestiegen ist. Und das alles bei Reallöhnen, die seit über zwei Jahrzehnten stagnieren. Der vor einigen Tagen erschienene Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes brachte es auf den Punkt: »Was den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum (als Grundlage des volkswirtschaftlichen Reichtums) und Einkommensarmut anbelangt, lässt sich keine sinnvolle Korrelation mehr erkennen.«

Auch der Welthandel, von dem die deutsche Wirtschaft wie kaum eine zweite abhängig ist, sendet weiterhin Warnsignale. Wie etwa der Baltic Dry Index, ein Preisindex für Massenfrachtraten und traditionell ein Gradmesser des Welthandels, der zuletzt einen Einbruch von über 50 Prozent zum Vorjahr anzeigte und sich damit auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1985 bewegt. Auch ein zweiter wichtiger Hinweisgeber für die weltwirtschaftliche Entwicklung zeigte im Januar Schwäche. Der Weltverband der Stahlindustrie »Worldsteel« vermeldete einen Rückgang der Weltstahlproduktion um knapp drei Prozent zum Vorjahresmonat.

Darüber hinaus sanken im Januar die Einzelhandelsumsätze in den USA und selbst China, dem einzig verbliebenen Wachstumstreiber der Weltwirtschaft, geht langsam die Puste aus. Trotz Ausweitung der Kreditvergabe und dem Versuch der chinesischen Führung, die Inlandsnachfrage zu steigern, sanken im Januar die Importe der Volksrepublik um 20 Prozent, was nach Meinung vieler Experten für eine rückläufige Entwicklung der chinesischen Inlandsmärkte spricht.

Hinzu kommen die geopolitischen Unsicherheiten, einbrechende Exportmärkte in der Ukraine und in Russland, sowie die nach wie vor darbende Südperipherie der Eurozone.

Sich überschlagende Aktienmärkte und steigende materielle Ungleichheit bei gleichzeitig wachsenden Risiken hinsichtlich der weltwirtschaftlichen Entwicklung, Deflationstendenzen in Europa und eine wachsende Armut nicht nur in den Ländern der Südperipherie dürften nach wie eher Anlass zu Besorgnis als zu Jubel sein.

Erschienen in Neues Deutschland vom 9.3.2015

"Lesen die ihren Kindern Pixi-Bücher vor?"

Ein Interview mit dem Filmemacher Hauke Wendler

Dokumentarfilmer Hauke Wendler im Gespräch mit GWR-Mitherausgeber Nicolai Hagedorn über seinen neuen Kinofilm "Willkommen auf Deutsch" [vgl. GWR 395, S. 20], fanatische deutsche Bürokraten, Alltagsrassismus und Fortschritte im Kampf dagegen.


Graswurzelrevolution (GWR): Wie geht es den im Film gezeigten Flüchtlingen?


Hauke Wendler: Von den fünf albanischen Flüchtlingen, die wir begleitet haben, sind drei bereits "freiwillig" ausgereist.

So heißt das offiziell, wenn die Ausländerbehörde so lange mit späteren Einreisesperren und ähnlichem droht, bis die Leute einknicken und, sofern das überhaupt geht, Deutschland verlassen. Das pakistanische Ehepaar und auch die tschetschenische Familie, die im Film eine wichtige Rolle spielen, sind nach wie vor im Landkreis Harburg und warten auf die Bescheide zu ihren Asylanträgen. Diese Ungewissheit ist für alle hart, weil sie einfach nicht zur Ruhe kommen.

GWR: Wie geht man so ein Dokumentarfilm-Projekt an? Fährt man da einfach mal in diese Dörfer, filmt und hofft, dass sich nachher ein Film zusammenschneiden lässt, oder habt ihr vorher schon eine Art "Drehbuch" geschrieben?

Hauke Wendler: Als wir 2013 die Bilder von den Protesten gegen ein neues Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf gesehen haben, war uns klar, dass wir unbedingt einen neuen Film zum Thema Flucht und Asyl machen wollten.

Dann stehen erst einmal jede Menge Vorarbeiten an: Recherchieren, lesen, planen, lange Vorgespräche mit möglichen Protagonisten. Das dauert. Aber da entscheidet sich erst, ob ein Film inhaltlich und formal ein gewisses Potential hat oder nicht. Bei den Recherchen sind wir zuerst auf Makka gestoßen, die tschetschenische Mutter mit den sechs Kindern.

Erst danach haben wir nach weiteren Protagonisten gesucht. Wir haben uns bei unseren vorherigen Projekten ja eher auf einzelne Flüchtlinge und ihr persönliches Schicksal konzentriert. Bei ‚Willkommen auf Deutsch' wollten wir auch die Reaktionen der deutschen Bevölkerung einfangen, ihre Sorgen und Ängste, aber auch den Alltagsrassismus, der vielfach herrscht.

Ich glaube, das ist auch das Besondere an diesem Film. Aber was aus so einem Projekt wird, hängt stark vom Zufall ab. Von den Menschen, mit denen man dreht, davon, wie weit sie sich öffnen. Da ist auch eine Menge Glück im Spiel.

GWR: Wie habt ihr die Stimmung auf der gezeigten Bürgerversammlung, auf der gegen die Flüchtlings-Unterbringung in der Gemeinde Appel polemisiert wird, erlebt? Gehen diese Leute zur Not los und werfen Brandsätze oder sind das eher Maulhelden?

Hauke Wendler: Das ist Quatsch. Von den Menschen, die wir in Appel kennengelernt haben, wirft keiner einen Brandsatz. Da bin ich mir absolut sicher. Aber diese Stimmung während der Bürgerversammlung, diese aufgeladene Masse, aus der heraus sich Einzelne nach vorne wagen und böse werden, das hat schon etwas Bedrohliches. Aber auch darum geht's bei unserem Film ja: Wir wollen, dass diese Positionen vom Stammtisch an die Öffentlichkeit kommen. Um darüber zu reden und zu streiten, vor allem, damit sich all diejenigen ein Bild machen können, die unentschieden in der Mitte stehen. Wir müssen diesen Diskurs führen, um endlich zu besseren, nachhaltigen Gesetzen zu kommen. Alles Andere baden nur die Flüchtlinge aus, die in ihrer Not keine Alternativen haben. Denen nutzt eine Zuspitzung der Diskussion nämlich kein Stück.

GWR: Meistens verändern solche "Reformen" die Verhältnisse eher zu Ungunsten von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Warum bist du optimistisch, dass das diesmal anders sein könnte?

Hauke Wendler: Ich bin da keinesfalls nur optimistisch. Das wäre naiv. Aber ich habe in den vergangenen 20 Jahren so viele Flüchtlinge und Migranten in Extremsituationen kennengelernt, dass ich meine politische Einschätzung der Lage nur bedingt von ihren persönlichen Interessen trennen kann. Wenn es jetzt zum Beispiel erste Erleichterungen im Bereich der Residenzpflicht oder der Arbeitsmöglichkeiten für Asylbewerber gibt, dann ist die Welt dadurch keinen Deut besser geworden.

Aber Larisa, die 21-jährige Tschetschenin aus unserem Film, darf aufgrund der neuen Regelungen jetzt in einem Altenheim im Nachbarort arbeiten. Da verdient sie kaum Geld, aber das ist so viel besser, als den ganzen Tag ohne Beschäftigung in der Bude herum zu hocken und vor innerer Anspannung die Wände hochzugehen. Das kann ich nicht ignorieren.

Gleichzeitig ist es inakzeptabel, dass diese Gesetzesänderungen derzeit nur vor dem Hintergrund von Wirtschaftsinteressen diskutiert werden, die auf billige und willige Arbeitskräfte abzielen und auf mehr nicht. Und da gilt es auch, Menschenrechte ganz grundsätzlich zu verteidigen.

GWR: Wenn man die Hilfesuchenden einerseits und die Wutbürger und Angsthaber andererseits persönlich kennenlernt und sie begleitet, wie schafft man es da, neutral zu bleiben und einen so verständnisvollen Film zu machen?

Hauke Wendler: Die Arbeit an so einem Film ist für uns auch eine Reise ins Ungewisse. Das empfinde ich persönlich als großes Glück, dass wir dabei immer wieder Menschen kennenlernen, denen ich sonst nie begegnet wäre. Aber das ist natürlich auch Stress. Als etwa Larisa akut von Abschiebung bedroht war, bin ich vier-, fünfmal die Woche zu der Familie gefahren. Und da erinnere ich mich an lange und wütende Fahrten auf der Autobahn. Da hat man als Autor natürlich auch Angst, gerade um diese Kinder. Andererseits habe ich kein emotionales Problem damit, ein langes Interview mit Hartmut Prahm von der Bürgerinitiative in Appel zu machen, der ja offen gegen das geplante Asylbewerberheim polemisiert. Das ist unser Job: Zuhören, nachfragen, verdichten. Und dabei versuchen, auch diesen Menschen gerecht zu werden. Wir reden ja schließlich nicht mit Nazis, das würde mich kein Stück interessieren.

Wir reden mit Leuten aus der bürgerlichen Mitte, deren Meinungen leider für viele andere in Deutschland stehen. Und die gilt es möglichst objektiv abzubilden. Das versprechen wir den Leuten vorab und daran halten wir uns. Auch weil es im Film eine viel stärkere Wirkung hat, wenn der Zuschauer sich sein eigenes Bild machen kann.

GWR: Kay Sokolowsky schrieb zuletzt in "konkret" über die Pegida-Anhänger: "Sie möchten keinem der herkömmlichen Lager zugeordnet werden, weil sie es auf eine bürgerliche Klientel absehen, die zwar faschistisch denkt, sich aber für demokratisch hält." Damit dürfte er solche Leute wie die Appeler Wutbürger in eurem Film meinen, die Angst um ihre Töchter haben, weil "diese Ausländer" ihre "männlichen Bedürfnisse" an ihnen befriedigen könnten, oder dem Vertreter des Landkreises Harburg erklären, er könne seine "Neger" wieder mitnehmen. Was würdest du Sokolowsky entgegnen?

Hauke Wendler: Natürlich ist es wichtig, bei Protesten wie Pegida zu schauen, welche politischen Interessen dahinter stehen. Ich würde diese Analysen aber nicht pauschal einer größeren Menschengruppe wie zum Beispiel allen Bewohnern des Dorfes Appel überstülpen wollen. Das ist zu plump und bringt niemanden weiter, schon gar nicht die Flüchtlinge.

Das Schöne am Beispiel Appel ist, dass sich am Ende der Teil der Dorfbewohner durchsetzt, der eine kleinere Gruppe von Asylbewerbern aufnehmen und unterstützen möchte. Da wird Deutschunterricht gegeben, da werden private Fahrdienste eingerichtet. Letztlich sind dadurch persönliche Kontakte entstanden, mit mehr Verständnis füreinander. Das finde ich gut.

GWR: Das Thema hat ja eine gespenstische Aktualität. Wie bewertest du die ausländerfeindlichen Bewegungen in Deutschland?

Hauke Wendler: Ich habe Anfang der 90er Jahre begonnen, mich mit dem Thema zu beschäftigen und wenn ich die Stimmung heute mit diesen Jahren vergleiche, dann bin ich froh, dass sich etwas bewegt hat. Wir haben auch in Tespe und Appel immer wieder Menschen getroffen, die Flüchtlingen helfen wollen. Das ist für mich ein klarer Unterschied zu den 90ern.

Andererseits schaffen Pegida und ähnlich dumpfe Veranstaltungen ein Klima, in dem viele ihren rassistischen Vorurteilen plötzlich freien Lauf lassen. Davor habe ich Angst: Dass die Situation an einzelnen Orten wieder eskaliert.

GWR: Besonders treffend in eurem Film ist ja, dass einige Flüchtlinge, deren Unterbringung in einem ehemaligen Altersheim von einer Bürgerinitiative verhindert wird, schließlich ausgerechnet im "Deutschen Haus" unterkommen. Was würdest du sagen, ist das Spezifische am deutschen Umgang mit Hilfesuchenden?

Hauke Wendler: Ja, das ‚Deutsche Haus', auch so ein Glücksfall für den Film. Wenn es den Namen des Hotels nicht schon gegeben hätte, hätten wir ihn eigenhändig dranschrauben müssen. Aber zurück zur Frage: Ich glaube, dass es in fast allen Gesellschaften Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gibt, überall auf der Welt. Das ist ein so dumpfes Gefühl, an das sich wahnsinnig leicht appellieren lässt, da kann jeder Inländer gleich mitmachen. Was mich in Deutschland immer wieder schockiert, ist der Fanatismus, mit dem etwa die Ausländerbehörden hier ihrer Arbeit nachgehen. In unserem letzten Dokumentarfilm ‚Wadim' wurde ein 18-jähriger nach jahrelangen Duldungen, die oft nur für wenige Tage verlängert wurden, in ein ihm fremdes Land abgeschoben und aus seiner Familie herausgerissen. Mitten in der Nacht, nachdem sich die Mutter nebenan in ihrer Not gerade den Arm mit einem kaputten Marmeladenglas zerfetzt hatte.

Welche Behörde denkt sich solche Einsätze aus? Und wer zieht sie vor Ort durch? Und fahren die dann abends auch nach Hause und lesen ihren Kindern Pixi-Bücher vor? Da würde ich mir erhoffen, dass dieses Land endlich zu der Einsicht kommt, dass wir seit 20 Jahren ein Einwanderungsland sind und dass wir uns dieser Realität endlich stellen müssen. 51 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Da können wir uns über 200.000 Asylbewerber im Jahr 2014 nicht beschweren. Das muss dieses Land besser hinbekommen.

GWR: Wie läuft das Projekt der Kinovorführungen? Werden die Filme nur gezeigt oder gibt es Diskussionsveranstaltungen dazu?

Hauke Wendler: Nachdem wir anfangs ganz schön kämpfen mussten, läuft die Vorbereitung des Kinostarts jetzt sehr gut.

Wir haben einen kleinen, ganz großartigen Filmverleih in Hamburg, der sich da voll reinhängt. Außerdem gibt es ein breites Netz von Gruppen und Initiativen, die sich zum Thema und auch zu dem Film engagieren, von Pro Asyl bis zur Interkulturellen Woche.

Wir konnten schon gut 40 Kinovorführungen mit anschließender Podiumsdiskussion fix machen und ich hoffe, es werden noch mehr. Wer den Film bei sich im Kino zeigen lassen und danach diskutieren möchte: Anrufen. Wir freuen uns!

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 397, März 2015

"Wir werden immer mehr sein als die"

Während in Köln, München und andernorts nach Aufkommen der Dresdner Pegida-Bewegung sehr schnell Gegendemonstrationen organisiert wurden, hat sich in Frankfurt lange nichts getan. Die Gruppe „No Fragida“, die auf Facebook für eine geplante Gegendemonstration bereits über 16.000 Zusagen sammeln konnte, arbeitet gemeinsam mit anderen daran, dies zu ändern. Eine der Initiatorinnen der Gruppe und Mitglied der Partei die Linke, Annette Ludwig erklärt in der GWR, wie die Proteste jetzt organisiert werden und wie sie mit Kritik daran umgeht.

GWR: Warum gab es so lange keine Anti-Pegida-Aktionen in Frankfurt?
Ludwig: Wir wollten sehr breit gegen Fragida, so heißt das in Frankfurt, aufrufen. Dabei war es uns wichtig, alle Bündnispartner an einen Tisch zu bekommen. Es haben sich schließlich 60 verschiedene Gruppen zusammengefunden. Wir waren im übrigen auch schon zuvor aktiv.
GWR: Welche Aktionen waren das?
Ludwig: Wir haben im Grunde verhindert, dass sich Fragida überhaupt konstituieren kann. Wir sind mit 300 Leuten zu der Lokalität „spaziert“, in der sich die Gruppe getroffen hat, wo wir beobachten konnten, wie neben dem AfD-Mann Brill ein gewisser Herr Jagsch (gemeint ist Stefan Jagsch, der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD, d. Red.) am Tisch saß, was wir später bekannt gemacht haben. Außerdem haben wir eine Demo in Frankfurt blockiert, auch mit rund 300 Leuten. Damit war Fragida Geschichte. Die linke, antirassistische Szene in Frankfurt ist zu stark, die politische Kultur zu offen und international, als dass Nazis hier Fuß fassen können und dabei soll es auch bleiben.
Jetzt bildet sich offenbar ein neues Bündnis, das im Frankfurter Umland zu mobilisieren versucht. Das sehen wir aber gelassen, wir werden in Frankfurt jederzeit mehr sein als die.

Hans-Peter Brill, bis dahin Mitglied des Vorstandes der AfD Frankfurt und Initiator von „Fragida“, trat nach Bekanntwerden seiner Kooperation mit dem NPD-Vertreter aus der AfD aus, nachdem der Landesverband der AfD ihm mit einer „Ordnungsmaßnahme“ gedroht hatte. Brill erklärte, er habe nicht gewusst, dass bei dem Fragida-Vorbereitungstreffen ein NPD-Vertreter dabei war. Das habe er erst später erfahren. Schließlich deutete er an, die Demonstration in Frankfurt aufgrund der starken Gegenproteste gar nicht erst anmelden zu wollen.

GWR: Wie setzt sich das Bündnis gegen Fragida zusammen?
Ludwig: Die tragende Gruppe ist das Römerbündnis, ein Zusammenschluss des DGB, des Jugendrings Frankfurt sowie der jüdischen, katholischen und evangelischen Gemeinden in Frankfurt, das sich in Reaktion auf aufkommende Nazistrukturen bereits in den 80er Jahren gegründet hat. Es beteiligen sich aber auch Migrantenverbände und andere an unserem Aufruf. Leider haben sich die linken und antifaschistischen Gruppen in Frankfurt an dem Aufruf nicht beteiligt, werden unsere Aktionen aber zum Teil ebenfalls unterstützen.
GWR: Gerade von einigen Antifa-Gruppen kam ja auch zuletzt die Kritik, dass man sich bei solchen Massendemonstrationen mit denen gemein macht, die mit ihrer Politik in den letzten Jahren die derzeitigen Zuständen mit herbeigeführt haben und dass sie sich nicht neben der CDU, der katholischen Kirche und der Bildzeitung auf gemeinsamen Demos wiederfinden wollen. Auch die Beweggründe für viele, die da mitlaufen werden kritisiert. Denen geht es demnach nicht um Antifaschismus, die machen sich nur Sorgen um wegbleibende Touristen.
Ludwig: Diese Kritik ist berechtigt, und man muss durchaus aufpassen, mit wem man was macht. Wir wollten aber erst einmal ein großes Bündnis schmieden für eine große Demonstration und dann auch Raum lassen für Veranstaltungen, bei denen die beteiligten Gruppen ihre auch kritischen Standpunkte einem größeren, interessierten Publikum näher bringen können. Es ist auch für mich ungewohnt, mit denen zusammenzuarbeiten, die ich sonst politisch bekämpfe, aber in der aktuellen Situation haben wir entschieden, dass uns das gemeinsame Zeichen, das wir setzen wollen, wichtiger ist, zumindest für einen gemeinsamen Termin.
GWR: Aber sollte das nicht auch dahingehend mit Inhalt gefüllt werden, dass man solche symbolischen Termine mehr nutzt, um eigene Inhalte zu transportieren?
Ludwig: Es gibt bereits Veranstaltungen in diese Richtung. Dort treffen sich dann Vertreter linksradikaler Spektren etwa mit Funktionären aus DGB-Gewerkschaften und fangen an, miteinander zu diskutieren. Solche politischen Termine sind in Frankfurt derzeit geradezu überlaufen, das Spektrum derer, die da teilnehmen, geht von 18 bis 60 Jahren, von grün bis autonom, da ist alles vertreten. So etwas gab es selten.

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 396, Februar 2015

Mittwoch, 11. März 2015

Last Exit Podemos

Der Medienhype um Spaniens neue Linkspartei. Teil 2 einer Serie über die parteipolitischen Umbrüche in Europa

Die in vielen lokalen Initiativen verankerte Linkspartei Podemos ist für viele Spanier politisch die letzte Hoffnung. Ob die in sie gesteckten Erwartungen erfüllt werden können, ist aber mehr als fraglich.


"Ich war von März 2005 bis März 2010 in Spanien. Von diesen fünf Jahren war ich zwei Jahre und fünf Monate angestellt, und das auch nur weil ich mich, nachdem ich anfangs keine Stelle als Speditionskaufmann gefunden hatte, nach anderen Berufen umgeschaut habe. Schließlich landete ich im Möbeleinzelhandel."

Francisco García Fuentes ist teilweise in Deutschland aufgewachsen, spricht Deutsch, Spanisch und Englisch fließend und hatte vor seiner Entscheidung, in seine eigentliche Heimat zurückzukehren, über 10 Jahre Berufserfahrung als Luftfracht-Agent bei verschiedenen Speditionen im Rhein-Main-Gebiet gesammelt. Er ist ziemlich genau das, was man im Ökonomiesprech eine Fachkraft nennt und nach fünf Jahren in Spanien musste er notgedrungen nach Deutschland zurückkehren: "Als es dann los ging mit der Krise, war es nur eine Frage der Zeit, dass ich meine Stelle wieder verlieren würde. Das war dann im Dezember 2008. Bis Anfang 2010 habe ich mit allen Mitteln versucht, eine Arbeit zu finden. Egal welche. Ich musste letztlich zu meinen Eltern ins Dorf ziehen, da ich meine Miete nicht mehr zahlen konnte. In den Dörfern ist es zwar noch schwieriger, was die Arbeitsuche angeht, aber mir blieb nichts anderes übrig. Arbeitslosengeld bekommt man nur für maximal 24 Monate, danach gibt es eine Zeit lang eine Unterstützung ähnlich wie Hartz 4. Meine damalige Freundin und jetzige Ehefrau wurde schwanger und da musste ich handeln. Ich habe dann meine Fühler nach Deutschland ausgestreckt und direkt auch eine Zusage bekommen."

Trotz leichter Verbesserungen am Arbeitsmarkt registrierte das spanische Statistikamt INE für das dritte Quartal 2014 eine Arbeitslosenrate von 23,7 Prozent. "So wie es mir ergangen ist, ist es vielen Spaniern ergangen und es ergeht vielen Spaniern immer noch so. Vielen bleibt nichts anderes übrig als auszuwandern oder zum Beispiel als Jurist Oliven pflücken zu gehen. Und vielleicht noch nicht mal das", erzählt García Fuentes, der 2010 nach Deutschland zurückkehrte, wo er eine Stelle in seinem angestammten Beruf antrat.

Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten in Spanien mehr als 17,5 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig, im November 2014 waren es noch 16,7 Millionen. "Da kommt Podemos mit den Veränderungsvorschlägen, die auch noch wirklich Hand und Fuß haben, gerade richtig", setzt er, wie viele Spanier, seine Hoffnungen auf die erst ein Jahr alte Linkspartei um den charismatischen Vorsitzenden Pablo Igesias.

Doch was verspricht die neue Partei, die in den letzten Umfragen die beiden großen Volksparteien Partido Popular (PP, vergleichbar mit der CDU) und Partido Socialista Obrero Español (PSOE, vergleichbar mit der SPD) überflügeln konnte, und was davon wird sie halten können?

Der Siegeszug der erst Anfang 2014 gegründeten Partei resultiert aus zwei Faktoren: Zum einen ist sie ein politisches Produkt des langfristigen Scheiterns der etablierten Parteien Spaniens, zum anderen, und das macht sie auch aus emanzipatorischer Perspektive interessant, ist es der Partei offenbar gelungen, einen großen Teil der spanischen Bevölkerung zu politisieren. Sie hat ihren Ursprung in den Massenprotesten der 15M-Bewegung, die sich entgegen der Einschätzungen beinahe aller politischen Kommentatoren, nicht aufgelöst und verlaufen hat, sondern von der Podemos buchstäblich aufgenommen wurde. Mittlerweile gibt es rund 900 politische Basisgruppen, die sich der Podemos zurechnen lassen, und die vor Ort politisch aktiv werden. Damit hat sich gewissermaßen eine Graswurzelbewegung als Partei organisiert und sie verbindet den Protest an den herrschenden spätkapitalistischen und postdemokratischen Zuständen mit einer Perspektive, die darauf setzt, dass zumindest eine basisdemokratische Alternative in Aussicht gestellt wird. Die Partei hat also, im Gegensatz zu vielen anderen Protestparteien, die so schnell verschwinden wie sie erschienen sind, dem Unmut und dem Protest eine Aussicht auf Erfolg gegeben.

Der Soziologe Raul Zelik nennt in seinem lesenswerten Artikel "Thesen zu Podemos und der 'demokratischen Revolution' in Spanien" sehr unterschiedliche Gruppierungen, wie etwa die Mareas, also "Protestbewegungen zur Verteidigung des öffentlichen Bildungs-und Gesundheitswesens, bei denen sich die ArbeiterInnen des öffentlichen Dienstes mit Elterninitiativen, PatientInnen- und Flüchtlingsgruppen zusammenschlossen", bis hin zu der mittlerweile berühmt-berüchtigten Basisgewerkschaft SAT (Sindicato Andaluz de Trabajadores), die es sogar hierzulande zum Thema auf Spiegel online schaffte, als sie 2012 Supermärkte plünderte und die Beute laut einem Bericht der spanischen Zeitung "Diario de Sevilla" in "Gegenden mit besonders hoher Arbeitslosigkeit" verteilte. Der Autor erkennt in der partikularen Widerstandskultur, der die Podemos nun eine Struktur gegeben hat, einen Beweis dafür, "dass es eine gesellschaftliche Mehrheit jenseits der politischen Apparate gibt" und ist überzeugt, dass die neue Partei trotz ihrer Schwächen letztlich "heute einer dieser Orte der demokratischen Revolution in Spanien und vermutlich auch der wichtigste" sei. In seiner Analyse verweist Zelik allerdings bereits auf zwei problematische Aspekte des spanischen Hypes um Podemos.

Zum einen ist die Partei bei allem basisdemokratischen Anstrich in erster Linie das Projekt eines kleinen Kreises Madrider PolitikwissenschaftlerInnen um die äußerst telegene Führungsfigur Iglesias, sodass auch Zelik konstatiert, die Partei sei "zweifelsohne ein Produkt der Massenmedien: Ohne das Fernsehen wäre Podemos heute vermutlich nur eine marginale Erscheinung". Zum anderen widerspricht, wie auch Zelik feststellt, der Personenkult "einem längerfristigen Demokratisierungsprozess im Kern denn eben doch."

Bei aller Sympathie, die der Podemos bei wohlwollender Betrachtung entgegengebracht werden kann, bleibt außerdem schleierhaft, wie die Partei die ökonomische Misere in Spanien beenden könnte. Angesichts der Verlaufsformen der Krise in Südeuropa bleibt eine Lösung innerhalb der Regeln des bürgerlichen Parlamentarismus Utopie.

Selbst wenn es der neuen Partei gelingen sollte, bei den Parlamentswahlen im Herbst die angestrebte Mehrheit zu erringen und den Präsidenten zu stellen, wird sie am nächsten Tag mit den krisenhaften Realitäten konfrontiert sein. Und die bedeuten vor allem, dass eine abgehängte Industrie wie die Spanische in einem weltwirtschaftlichen Umfeld, das um jeden Krümel Wertakkumulation konkurriert, die enormen Vorauskosten, die ein ökonomisches Aufholen bedingen, nicht wird leisten können. Insbesondere nicht angesichts leerer Staatskassen, die eine keynesianische staatliche Investitionspolitik wie im Programm der Partei vorgeschlagen, gar nicht zulassen.

Die Ankündigung der Podemos, in einer "Bürgeranhörung über die Schuldenfrage" darüber entscheiden zu lassen, welche Schulden illegitim seien und daher nicht zurückgezahlt werden sollen, ist ein lächerlicher Akt der Verzweiflung. Die Verweigerung des Schuldendienstes in relevantem Stil würde unweigerlich in den Staatsbankrott oder zu einer noch größeren Abhängigkeit von Hilfsgeldern führen und eine staatliche Investitionspolitik endgültig verunmöglichen. Beide Szenarien hätten die Handlungsunfähigkeit der neuen Regierung zur Folge.

Offenbar sind sich die Führungsfiguren der Partei selbst nicht so ganz sicher, wie radikal ihre ohnehin im besten Fall reformistischen Forderungen ausfallen sollten.

So wurden einige in einem Gründungsmanifest gestellte Forderungen kurze Zeit später in einer revidierten Programmversion abgeschwächt. Schließlich fand sich darin die Formulierung, man strebe ein Bankensystem an, dass den BürgerInnen und mittelständischen Unternehmen diene, was sich dann schon verdächtig nach der Rhetorik der deutschen Linkspartei anhört. Auch mit der Ankündigung, profitablen Unternehmen betriebsbedingte Kündigungen verbieten zu wollen, beweist man neben fehlendem Verständnis für die Logik der weltweiten Standortkonkurrenz im besten Fall guten Willen.

Und da man mit in Aussicht gestellten Reförmchen auch in Spanien keine Massen begeistern wird, ist zu befürchten, dass die Podemos vor allem auf Populismus setzen, ihren angekündigten Kampf gegen die korrupte politische Kaste der Volksparteien in den Vordergrund stellen und an den Patriotismus appellieren wird, wie Iglesias das in der Vergangenheit geschickt verstanden hat. Auch die übrigen prominenten Forderungen der Partei gehen über eine linkssozialdemokratische Rhetorik a la deutsche Linkspartei selten hinaus. So will man etwa die staatliche Kontrolle über wichtige infrastrukturelle Bereiche wie die Telekommunikation, die Energieversorgung oder das Gesundheitswesen durch Rückkäufe von Anteilen an den mittlerweile zum großen Teil privatisierten Konzernen wiedererlangen. Von Aneignung oder Verstaatlichung, wie in früheren Forderungskatalogen einiger der an Podemos beteiligten Gruppen ist längst keine Rede mehr, aber immerhin: die Aktienbesitzer wird's freuen.

Eine wirkliche Alternative, die auf die Überwindung der basalen kapitalistischen Kategorien, eine echte basisdemokratische Veränderung und auf eine Emanzipation von den verheerenden politökonomischen Zwängen zielt, wie sie etwa in den Direkten Aktionen der Supermarktplünderungen durchschien, hat die Partei Podemos nicht zu bieten. Dafür bräuchte es mindestens den politischen Willen der spanischen Bevölkerung, gegen die eigentlichen Ursachen der Massenverarmung in Stellung zu gehen. Doch die Wertverwertung an sich steht auch bei Podemos nicht zur Diskussion.

Dennoch: Bei den sich abzeichnenden politischen Veränderungen in fast allen Krisenländern hat es die Podemos mit ihrer Orientierung an den (allerdings weitgehend gescheiterten) Transformationsversuchen lateinamerikanischer Länder wie Venezuela oder Bolivien und der griechischen Linkspartei Syriza, mit ihrer Ablehnung der widersinnigen und inhumanen Spar- und Austeritätspolitik, sowie mit ihrem zumindest proklamierten Willen, das politische System zu re-demokratisieren, immerhin geschafft, die Wut und Verzweiflung großer Teile der spanischen Bevölkerung in eine Massenbewegung zu überführen, die zumindest nicht in erster Linie auf Ressentiments gegen Ausländer, Juden oder sonstige Minderheiten setzt, wie etwa der Front National in Frankreich.

So bleibt zu hoffen, dass, wie Zelik schreibt, "der antiinstitutionelle Widerstand" tatsächlich "mit einer solchen Vehemenz in die Institutionen ein[dringt], dass diese die Dissidenz nicht einhegen und absorbieren können". Auch wenn dabei zu befürchten ist, dass die Podemos diese Aufgabe für "die Institutionen" längst übernommen hat, bleibt die Frage, die García Fuentes, der sich mittlerweile wieder gut in Deutschland eingelebt hat, im Gespräch mit der GWR stellt, für viele Spanier kurzfristig die politisch relevanteste: "PP und PSOE haben in Spanien versagt und wen sollen wir Spanier denn jetzt wählen?"

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 395

Alle Achtung, Führer!

Wie wir in der Sendung »Hitlers Jurassic Park« im »National Geographic Channel« erfuhren, wolltest Du in irgendwelchen polnischen Wäldern tatsächlich solch einen Park einrichten: »Wissenschaftler der SS planten, ausgestorbene Arten wieder auf der Erde anzusiedeln. Sie sollten einer nationalsozialistischen Superrasse als Jagdbeute dienen.«

Und das hätten wir dann doch gerne gesehen: Superrassenangehörige wie der dicke Göring oder Klumpi Goebbels oder nicht zuletzt Du, schmächtiger Führer, wie Ihr vor Säbelzahntigern, Mammuts und Tyrannosauriern wegrennt und von Eurer »Jagdbeute« vielleicht ein klein wenig in die Mangel genommen werdet.

Wäre vielleicht sogar etwas für Tarantino, findet

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 11/2014

Doch nicht alternativlos?

Die politische Konsequenzen der latenten Krise des kapitalistischen Weltsystems muss in der Südperipherie Europas die Bevölkerung ausbaden. Nun erreicht der Widerstand die Parlamente, die europäischen Linksparteien werden aber an den kapitalistischen Zwängen kaum etwas ändern können.
Erster Teil einer Betrachtung der realpolitischen Auswirkungen der latenten Krise des Kapitalismus.


Nachdem die Volkswirtschaften in beinahe allen Ländern der Eurozone die Außenhandelsüberschüsse des Krisenprofiteurs Deutschland sowie die weltweite Überkapazitätskrise mit einer historisch einmaligen Vernichtung von Kapital und einer immensen Staatsverschuldung bezahlen mussten, sind die Leidtragenden in erster Linie die von Arbeitslohn Abhängigen. Mit einem groß angelegten Einsatz von Politik und vor allem der von EZB-Präsident Draghi abgegebenen Garantie für die Staatsanleihen aller Euro-Mitgliedsländer konnten zwar Staats- und Bankenbankrotte abgewendet werden, allerdings wurden die Staaten und deren Bankensektor nur unter der Bedingung „gerettet“, dass sie den Merkelschen wirtschaftspolitischen Kurs durchzusetzen haben, der angeblich zu Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum führt. Bei der Durchsetzung der Austeritätspolitik war es um nicht weniger gegangen als den Fortbestand kapitalistischen Wirtschaftens überhaupt, innerhalb der kapitalistischen Kategorien von Ware, Geld, Wert und Konkurrenz waren mindestens die Rettungsmaßnahmen ja tatsächlich alternativlos, ohne sie wären mindestens Griechenland, Spanien und Portugal, wahrscheinlich auch Italien längst zahlungsunfähig und somit unregierbar. Selbst ohne Euro, wenn also die genannten Länder ihre Währungen hätten abwerten und somit ihre Produkte auf dem Weltmarkt verbilligen können, hätte die Krise diese Staaten in eine jahrelange tiefe wirtschaftliche Depression gestürzt, aus der sie bei den nach wie vor bestehenden und sich aufbauenden Überkapazitäten sowie dauernd steigenden Vorauskosten für wettbewerbsfähige Produktion wohl kaum überhaupt herausgekommen wären.
Man kann es gar nicht oft genug sagen: Unter kapitalistischen Bedingungen wird eine nachholende Modernisierung von ganzen Volkswirtschaften immer schwieriger. Das kapitalistische Auf und Ab ist gerade keine Wiederkehr des Gleichen, sondern vollzieht sich in jeder Akkumulationsrunde zwar nach den gleichen Bedingungen, aber auf einer stets höheren Stufe der Produktivität. Und die Länder der Südperipherie haben dabei den Anschluss, wie ein großer Teil der Welt, verloren.
Die Lohnabhängigen in den genannten Staaten bekommen diese Entwicklung in Form von Arbeitslosigkeit, Prekariat und Armut zu spüren.
Politisch haben die Verschlechterung der materiellen Lebensgrundlagen in der Südperipherie zwar zu einigen auch handfesten Auseinandersetzungen geführt, jedoch nicht zu einer innerhalb des demokratischen Systems sich vollziehenden Suche nach Alternativen. Zuletzt haben sich aber in fast allen von der Krise besonders betroffenen Ländern die Parteienlandschaften verändert, mit einer zunehmenden Dynamik. So etwa in Frankreich mit dem Aufkommen des rechtsradikalen Front National, aber auch in Spanien mit der neuen Partei Podemos („Wir können“) und in Griechenland mit der Partei Syriza. Gemeinsam haben die beiden letztgenannten, dass sie dezidiert linke, kapitalismuskritische Positionen vertreten und mit einer charismatischen Persönlichkeit an der Spitze zu Massenbewegungen geworden sind und bei den nächsten landesweiten Wahlen in die Regierungsverantwortung gewählt werden könnten.
Im Gegensatz zu Syriza, das eine Art Partei gewordene Sammlungsbewegung bestehender linker Gruppen, Parteien und Initiativen ist und bereits seit 1992 besteht, könnte man Podemos als „linke AfD Spaniens“ bezeichnen, da der Werdegang der Partei einige Ähnlichkeiten mit den deutschen Recchtspopulisten aufweist, inhaltlich hingegen vertreten die Wirtschafts- und Politikprofessoren um den Politologen Pablo Iglesias Turrion eher einen Kurs, der der deutschen Linkspartei ähnelt. Und: Podemos ist ungleich erfolgreicher als die AfD, hat sie doch in den vergangenen 11 Monaten, also seit ihrer Gründung im Januar 2014 eine atemberaubende Entwicklung hingelegt, bei den Europawahlen auf Anhieb 8 Prozent geholt und ist in den jüngsten Umfragen (ähnlich der deutschen Sonntagsfrage) mit knapp 28 Prozent stärkste Partei Spaniens. «Podemos hat ein in der spanischen Politik nie dagewesenes Beben ausgelöst», kommentierte die größte spanische Tageszeitung El Pais und dürfte damit kaum untertreiben. Denn ähnlich dem CDU-SPD-System in Deutschland wechselte die Regierungsverantwortung seit 1983 zwischen der konservativen Partido Popular (PP) und der sozialdemokratischen Partei PSOE. Die letzte Parlamentswahl gewann die PP von Ministerpräsident Rajoy mit knapp 45 Prozent. Die Partei hat innerhalb von ziemlich exakt 3 Jahren über die Hälfte an Zustimmung eingebüßt und lag zuletzt bei noch 20 Prozent.
Der 36jährige Iglesias indes ist bereits seit längerem gern gesehener Gast in den spanischen Polittalkshows Spaniens und politischer und intellektueller Tausendsassa. Bereits mit 16 Jahren war er im kommunistischen Jugendverband aktiv, in seiner Doktorarbeit verglich er Formen des Ungehorsams in spanischen und italienischen Bewegungen und wurde 2008 Professor für Politikwissenschaften an der Universidad Complutense in Madrid. Daneben besitzt er einen akademischen Grad in Jura sowie einen Masterabschluss in Humanwissenschaften (Schwerpunkt Kulturwissenschaften) sowie einen Master of Arts in Communication, mit Schwerpunkt Philosophie, Film und Psychoanalyse.
Mitte November wurde Iglesias zum Parteichef von Podemos gewählt – in einer Online-Abstimmung, an der alle spanischen Bürger teilnehmen konnten.

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 394, Dezember 2014

Dienstag, 18. November 2014

Austeritätsmedizin bleibt ohne Wirkung

Nicolai Hagedorn über die angebliche Besserung in den südlichen Krisenökonomien und einen Rechenfehler deutscher Spitzenpolitiker

In den vergangenen Monaten überschlugen sich die Erfolgsmeldungen aus Spanien, Portugal, Irland und sogar Griechenland, also den Krisenländern der europäischen Südperipherie. Portugal wurden etwa große Fortschritte in Sachen Krisenbewältigung attestiert, die ARD-Börsenredaktion erkor das Land sogar zum »Musterknaben«. »Die Welt« feierte indes Spanien als »Europas Superstar«. Die großartige Entwicklung dort sei Folge der »drastischen Reformen«, die Ministerpräsident Mariano Rajoy im Zuge der Austeritätspolitik durchgeführt habe.

Das Märchen von der Austeritätspolitik, die nun endlich ihre segensreiche Wirkung entfaltet, ist allerdings zu schön, um wahr zu sein. Die Krisenländer haben ihre Wettbewerbsfähigkeit, Handelsbilanzen und Exportquoten zwar tatsächlich zum Teil verbessern können - Spanien beispielsweise verzeichnet seit fünf Quartalen wieder ein leichtes Wirtschaftswachstum. Dieses bewegt sich jedoch auf einem Niveau, das zur Konsolidierung der Staatsfinanzen bei weitem nicht ausreicht. Das Hauptproblem bleibt: Die Risiken für die Zahlungsfähigkeit sind nur in die Zukunft verschoben worden, verschwunden sind sie nicht. Im Gegenteil. Erst vergangene Woche meldete die spanische Zentralbank ein neues Allzeithoch bei der Staatsverschuldung: Der Gesamtschuldenstand des Staates liegt demnach bei 1,5 Billionen Euro, das entspricht 142 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes. Auch in Portugal, Italien und Griechenland wachsen die Staatsschulden weiter auf neue Höchstwerte.

Der zunehmende Finanzbedarf dieser Staaten resultiert dabei vor allem aus steigenden Sozialausgaben und den Kosten für die Bankenrettungen, für die etwa Spaniens Steuerzahler bis heute rund 60 Milliarden Euro aufbringen mussten. Hier wird der ganze Wahnsinn der vor allem von Deutschland über die Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und IWF durchgesetzten Sparpolitik sichtbar. Denn auch die Arbeitslosenquoten bleiben in Europas Süden auf Rekordhöhe, was zu den ausufernden Sozialausgaben führt. Im Klartext: Die Sparanstrengungen würgen die wirtschaftlichen Aktivitäten ab, was über erhöhte Arbeitslosigkeit und Verarmung letztlich zu immer höheren Staatsschulden führt. Die von Merkel in Europa durchgesetzte Krisenpolitik droht derweil weitere Opfer zu fordern: Frankreich meldete vergangene Woche ebenfalls einen neuen Rekord und überschritt erstmals in seiner Geschichte die Grenze von zwei Billionen Euro an Staatsschulden.

Der Versuch, diese beunruhigenden Entwicklungen mit dem Narrativ von der alternativlosen Sparpolitik, die jetzt einem glücklichen Ende entgegenstrebt, schönzureden, grenzt an Propaganda. Die tiefer liegenden Probleme der Eurozone sind nach wie vor verstopfte Absatzwege und Überkapazitäten. Diese werden durch immer weitere Einsparungen nicht behoben, sondern verschärft. Deshalb kann die Merkelsche Austeritätsmedizin nicht wirken, deshalb können immer weitere Zinssenkungen die Kreditkontraktion in der Eurozone nicht wirksam bekämpfen, und deshalb ist Europa auf dem Weg in eine Deflation.

Da diese Art der Krisenbekämpfung für alternativlos erklärt wurde, wird man wohl auf den Sankt Nimmerleinstag oder den nächsten großen Crash warten müssen, bis einmal ein Gedanke daran verschwendet wird, dass wirtschaftliches Wachstum nur dann stattfinden kann, wenn die so unheimlich wettbewerbsfähig produzierten Güter auch gekauft werden können. Dafür braucht es Abnehmer. Und diese müssen Geld verdienen. Mit einem zunehmenden Heer von Arbeitslosen und Niedriglöhnern wird das kaum zu schaffen sein. Wenn die ganze Welt Außenhandelsüberschüsse generieren soll, wie man sich das bei den Erfindern der Sparpolitik offenbar vorstellt, müssten Merkel, Schäuble und Co. schon einmal erklären, auf welchen Planeten die Güter denn verkauft werden sollen. Sonst bleibt nur, mit Paul Krugman zu konstatieren, dass hier wohl »ein Rechenfehler« vorliegt.

Erschienen in Neues Deutschland (ND) vom 8.11.2014

Fuck the World ist tot

Das berüchtigte Hamburger Spießertum verliert seinen Lieblingsfeind. Der notorische Graffiti-Sprayer Oz, der seit Jahrzehnten nicht nur die Polizei, sondern auch die bürgerliche Justiz in Atem hielt, wurde beim Sprayen von einer S-Bahn erfasst und starb an seinen Verletzungen.

Über die 90er dichtete Funny van Dannen einmal:"Die Arbeitslosenzahlen stiegen weiter und es ging um Gentechnologie - die grauen Städte kämpften tapfer gegen Graffiti" und wer den Song "Jan Ulrich", aus dem dieser Vers stammt, heute noch einmal hört, wird sich wundern, wie wenig sich in der kapitalistisch deformierten und domestizierten menschlichen Gesellschaft in den letzten zehn bis zwanzig Jahren geändert hat.

Wo Nietzsche noch von der ewigen Wiederkunft des Gleichen philosophierte, scheint heute gar nichts mehr wiederkehren zu können, da ein Gleiches das letzte stetig ablöst, also nicht einmal eine ringförmige Prozesshaftigkeit, die früher oder später zu ihrem Anfang zurückkehren muss, mehr stattfinden kann, da auch der, der im Kreis laufen will, mindestens einmal losgehen muss.

Die wievielte Meisterschaft Bayern München gewonnen hat und mit wie vielen Punkten Vorsprung, ist weder einen Gedanken, noch eine Emotion wert. Keiner weiß mehr, wie die Spieler, Sänger, Maler, Musiker, Schriftsteller heißen, was einen vom anderen unterscheidet, wozu Tausende täglich neu produzierte "Werke" der (Pop)Kultur überhaupt da sind, beitragen oder führen sollen.

Bezeichnender als die Austauschbarkeit der Kulturprodukte ist letztlich nur noch das Gemaule darüber, das "Früher war es besser" und "Es geht alles den Bach runter" derer, die im warmen Strom der kulturellen Verwertungsmaschine immer schon mitgeschwommen sind wo sie konnten und es für eine subversive Großtat halten, hin und wieder ein paar Meter Rückenschwimmen einzulegen, um zu zeigen, wie nonkonformistisch sie doch sind.

Jeder gierige Bankmanager, der das System nutzt, um sich daran zu bereichern ohne dabei vorzugeben, irgendwie links oder progressiv zu sein, ist im Vergleich zu all den pseudorebellischen Millionären von Campino bis Jan Delay oder Jonathan Meese geradezu eine ehrliche Haut.

Eine Kunst, die nicht frei ist von betriebswirtschaftlichen Beschränkungen, ist beschränkt und sie hat diese von außen, von den Umständen und Verhältnissen diktierte Beschränktheit gemein mit dem Leben an sich.

Die Erfordernisse der Wertverwertung machen vor dem Kulturbetrieb nicht halt und verwandeln jede freie Kunst ebenso wie jede lebendige Regung des Menschenmaterials in Ware, in tote, abstrakte Arbeit.

Das Gemälde hinter dem Millionärsschreibtisch ist so tot wie eines der Smartphones, das von der Firma hergestellt wird, die er leitet.

Der menschliche Drang nach Spiel und Ausprobieren, nach Sexualität, Genuss und Verwirklichung wird zu einer Funktion, zugunsten derer alle menschlichen Tätigkeiten nicht nur der Erzeugung von akkumulierbarem Mehrwert untergeordnet, sondern letztlich nur noch allein zu diesem Zweck angewendet werden, beziehungsweise in der so genannten Freizeit zwar ausgelebt werden können, aber eben immer unter der Bedingung, dass die eigene Arbeitskraft nicht darunter leidet und der Spaß nicht zu viel kostet. Diese Bedingung ist eine existenzielle und damit unhintergehbar. Wer unter solchen Bedingungen "als Künstler arbeitet", unterscheidet sich nur hinsichtlich seines verwertbaren Outputs noch vom Versicherungskaufmann oder Kredithai.

Oz wusste das. Seine wenigen "legalen" Werke malte er einzig, um die horrenden Anwaltskosten, die ihm seine eigentliche Kunst einbrachte, bezahlen zu können. Ins falsche Leben wechselte OZ nur, wenn die falsche Welt mal wieder mit Gefängnis drohte.

Doch selbst auf diesen Zwang, auf die Notwendigkeit Anwälte, Gerichtskosten und Geldbußen zahlen zu müssen, um sein richtiges Leben überhaupt außerhalb von Gefängnismauern führen zu können, pfiff er lange und wurde dafür von der bourgeoisen Justiz mit insgesamt acht Jahren Haft belegt. Für Oz war alles besser als Kooperation.

Von der BILD-Zeitung bis zur Hamburger Morgenpost, von Polizei bis Justiz hatten sich die Organe des Bürgertums längst auf ihn eingeschossen. Ein gewisser vom Hamburger Volk ins Amt gewählter Innensenator namens Ronald Schill erklärte wenige Tage nachdem Oz von Mitarbeitern der Hamburger S-Bahnwache krankenhausreif geprügelt worden war: "Ich habe mit mehreren Menschen gesprochen, und keiner konnte eine gewisse Schadenfreude verbergen.

Das partielle Versagen der Justiz fordert Selbstjustiz also geradezu heraus." Die BILD-Zeitung sekundierte: "Wann wird dieser Mann endlich eingesperrt?" Und meinte damit nicht einen der prügelnden Bahnwächter, sondern selbstverständlich das halbtote Opfer.

Oz errregte Hass und im Umgang mit ihm zeigte sich das rachsüchtige, das unbarmherzige, das wahre Gesicht einer Gesellschaft, die ihre eigenen Triebe, ihre erste Natur, ihr Wesen nicht zwecks eines vernünftigen, humanen Umgangs miteinander unterdrückt, welcher die entgangene Befriedigung in sozialer Freiheit aufheben könnte, sondern nur um sich am nächsten Tag wieder mit Haut und Haaren der Anhäufung toter Arbeit widmen zu können.

Er bringt das intuitiv auf den Punkt, als er während eines Prozesses zu Protokoll gibt, er sei Jude und ein anderes Mal mit einem Pappschild im Gerichtssaal erscheint, auf das er "Ich OZ" gemalt hat - mit einem "K" im "O":

Oz war ein Mann, der in seinem ganzen Leben jede "anständige", also bezahlte Arbeit zur eigenen Bereicherung verweigert hat. Einer, der, wo immer möglich, den Kontakt zum falschen Leben, zur kapitalistischen Gesellschaft gemieden und auf ihre Honorare, Anerkennungen und Preise geschissen hat, genauso wie darauf, dass diese Gesellschaft die Tatsache, dass er die hässlichen grauen Wände einer hässlichen grauen Großstadt mit Smileys, Tags und manchmal schönen, bunten Bildern verziert hat, als Straftat bezeichnet und aburteilt. Selbst als man ihm Geld und Ruhm anbot, ihn zum Künstler machen und in den Kulturbetrieb integrieren wollte, lehnte er dankend ab und sprayte weiter.

Ein Richter, der ihn für über zwei Jahre ins Gefängnis schickte, belehrte OZ: "Ihre Steuerungsfähigkeit ist tatsächlich eingeschränkt, das vermitteln Sie mit Ihrem Verhalten." Die Steuerungsfähigkeit eines sozialen Gefüges, das sich eine solche Sprache schafft, wirft zwar mehr Fragen auf, als die eines Mannes, der bunte, lächelnde Gesichter an Hauswände malt. Der Weltgeist jedoch zeigte sich in diesem Zusammenhang von seiner grinsenden Seite: Der Vertreter der Staatsmacht, der hier sprach, trägt den folgerichtigen Namen Graue.

Der Hamburger Galerist Christoph Tornow indes erklärte OZ einmal so: "Die Studententypen, die - ohne sie jetzt anmachen zu wollen - noch eine Zukunft vor sich haben mit Frau, Auto, Kindern und am besten einem Job als Künstler, die haben einen anderen Mindset als der alte Typ, der einfach nichts zu verlieren hat. Er hat keine Frau, kein Auto, keine Kinder, keine Wertgegenstände, vielleicht auch gar keine Zukunft. Der Typ ist fuck the world. Er versucht einfach nur so lange durchzumachen, bis er irgendwann alle Viere von sich streckt. Das ist tough. Das ist Kampf. (…) Er ist auf alle Fälle der Ritter der Dunkelheit und nicht der Ritter des Lichts. Er kann einem auch Angst machen. Das weiß er und das will er auch. Diese Angst ist ja auch das Heilsame für seine Adressaten. Weil er durch sein Handeln einfach unser gesamtes System in Frage stellt. (…) Er hinterfragt die Sinnhaftigkeit unserer Sozialisation." (1)

Fuck the world wurde am 25. September 2014 gegen 22:30 Uhr von einer S-Bahn erfasst und im Alter von 64 Jahren getötet. "Die Bundespolizei stellte ein frisches Graffito auf der Abdeckung einer Stromschiene fest und fand dort eine Dose und einen Rucksack", meldet Wikipedia.

Ershienen in Graswurzelrevolution (GWR) 393 (11-2014)

Dienstag, 14. Oktober 2014

Wow, »Hamburger Abendblatt«!

Deine Überschrift »Die Krankheit hinter den Ice Bucket Challenges« war ein richtig guter Teaser! Welches Leiden wohl Sigmar Gabriel, Johannes B. Kerner, Helene Fischer und all die anderen Eiskübelkipper verbinden könnte, rätselten wir und klickten uns ganz gegen jede Vernunft und Gewohnheit in den Artikel. »Irgendwann ist auch das Sprechen nicht mehr möglich« lasen wir da mit wachsender Begeisterung, sowie: »Eine Heilung gibt es nicht, nur Medikamente, die den Verlauf hinauszögern können.« Für eine Sekunde blickten wir voller Zuversicht in die Zukunft. Doch bei weiterer Lektüre kam dann das böse Erwachen wie eine Ladung Eiswasser ins Gesicht: Die Eiskübelkipper haben die Krankheit gar nicht selbst!

Mal ehrlich, Hamburger Abendblatt: Was sollte der Quatsch?

So aufgebracht wie nachtragend:

Titanic

Erschienen in
Titanic-Magazin 10-2014

Pervertierter Anarchismus

Gastbeitrag des Kollegen Bruno Mehrland

Einer der neuen Säulenheiligen der Truthergemeinde bezeichnet sich selbst als Anarchisten und propagiert den Libertarismus. Dahinter verbirgt sich das Konzept eines von allen Fesseln befreiten Kapitalismus.

Die andauernde ökonomische Weltkrise, in der sich herausstellt, dass die Versprechen des bürgerlich-kapitalistischen Systems von weltumspannender Prosperität auf Grundlage der Wertverwertung nicht einzulösen sind, führt zu Welterklärungen, die die Verantwortung für das Unerträgliche bei personalisierten oder institutionalisierten Schuldigen zu finden glauben. Auf die Spitze getrieben wird derzeit die Realitätsverleugnung von Oliver Janich, in dessen Buch „Die Vereinigten Staaten von Europa“ das ausgebreitete Halbwissen in der fieberwahnsinnigen These gipfelt, es gebe gar keinen Kapitalismus: „In Wahrheit ist der Kapitalismus gar kein „Ismus“ und hat auch nichts mit Kapital zu tun. Er ist gerade kein System. Diese Systeme (sic!) haben verschiedene Ausprägungen und Bezeichnungen: Kommunismus, Dirigismus, Sozialismus, Faschismus, aber auch soziale Marktwirtschaft, die in Wirklichkeit Sozialismus ist. All diese Systeme sind in Wahrheit eins: Kollektivismus. Das Recht der Masse wird über das Recht des Einzelnen gestellt.“ Und deshalb müsse die Marktwirtschaft von allen staatlichen Regulierungen befreit werden, denn: „Den wenigsten ist bewusst, dass Kapitalismus eigentlich nur Freiheit bedeutet.“ Und Janich erklärt überdies „wie eine ungelernte Putzfrau ohne Sprachkenntnisse komfortabel leben kann und im Alter sogar Millionärin wäre, würde der Staat nicht eingreifen.“ Der Grund dafür, dass die Putzfrau nicht Millionärin wird, liegt laut Janich im staatlichen Geld- und Gewaltmonopol, die daher abgeschafft gehörten. Dann aber wäre das kapitalistische Paradies erreicht: „In einer absolut freien Binnenwirtschaft“ müsse es „zu einer Arbeitslosigkeit von null und in einer Exportnation sogar zu einem Arbeitskräftemangel kommen.“
Nun müssten ein solcher Hardcore-Liberalismus von vorgestern, der noch die feuchtesten Träume der Martradikalen aller Generationen zwischen den Matratzen der Geschichte hervorkramt, nicht weiter interessieren, allerdings macht der Janiche Opportunismus in seiner Buchverkaufswut vor nichts halt und um auch im „linken“ Spektrum irgendwie ein paar Käufer zu finden, bezeichnet sich Janich offensiv als Anarchist und wird auch als solcher rezipiert. So überschrieb zuletzt die „Huffington Post“ ein Gespräch mit Janich als „Interview mit einem Anarchisten“, worin dieser sich wiederum nicht nur zum Anarchismus, sondern mit noch größerem Nachdruck zur so genannten „Österreichischen Schule“ bekennt, die selbst unter Ökonomen heute als veraltet gilt. Janich rekurriert nicht nur in besagtem Interview auf Friedrich August Hayek, der als einer der „Erfinder“ des Neoliberalismus gilt.
Hayek war ein radikaler Antisozialist und, wie Robert Kurz im „Schwarzbuch Kapitalismus“ konstatierte, der „wohl konsequenteste und doktrinärste aller liberalen Theoretiker (…) Wie alle realitätsblinden Doktrinäre (die stets um so energischer abstrakt jeglichen Dogmatismus zu bekämpfen vorgeben, je monomanischer sie ein eigenes Dogma vertreten) läßt auch Hayek von Anfang an nicht den geringsten Zweifel daran, daß sich für ihn die Welt verkehrt herum darstellt. Denn ihm erscheint es nicht etwa so, daß der in einem säkularen Prozeß zunehmende staatsökonomische Regulationsapparat die unvermeidliche Reaktion auf den krisenhaft prozessierenden kapitalistischen Selbstwiderspruch war, sondern genau umgekehrt sollen zumindest die großen Krisen, Zusammenbrüche und sozialen Verwerfungen einem sündhaften Abweichen der Menschheit von der »reinen Lehre« des ursprünglichen Liberalismus geschuldet sein.“ Womit auch Janichs „Monomanie“ hinreichend charakterisiert wäre.
Der „Truther-Anarchist“ demonstriert dabei eindrucksvoll, wovor Adorno/Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung warnten: „Halbbildung, die im Gegensatz zur bloßen Unbildung das beschränkte Wissen als Wahrheit hypostasiert, kann den ins Unerträgliche gesteigerten Bruch von innen und außen, von individuellem Schicksal und gesellschaftlichem Gesetz, von Erscheinung und Wesen nicht aushalten.“ Janich kann nicht an sich halten, seine Ansichten unentwegt als „die Wahrheit“, „logisch“ bzw. „ein Naturgesetz“ zu bezeichnen.
Nach der Blamage des Neoliberalismus im Zuge der weltweiten Finanzkrise seit 2008 und der Notwendigkeit eines gigantischen staatlichen Eingreifens, um die auf der Ausbeutung menschlicher Arbeit basierende Wertverwertung vor der Funktionsuntüchtigkeit zu bewahren, behauptet Janich allen Ernstes, eine Erhöhung der neoliberalen Dosis ins Extreme sei die Lösung aller Probleme.
Erst nach Totalprivatisierung und Abschaffung des Staates könne die Marktwirtschaft zum Wohle aller funktionieren, und begrifflich könne erst dann überhaupt von Kapitalismus gesprochen werden. Die Verbindung zwischen der neoliberalen Österreichischen Schule zum Anarchismus besteht dabei in der Ablehnung des Staates. Die Janiche Antistaatlichkeit pervertiert allerdings den Gedanken der Freiheit von Hierarchien innerhalb einer Gesellschaftsorganisation in eine Freiheit von staatlicher Einmischung in die Belange des Marktes. Die Folge wäre nicht die Abschaffung von Herrschaft, sondern die enthemmte Unterwerfung aller Lohnabhängigen unter die Gesetze des Marktes, der jedermann bei Strafe des eigenen Untergangs zur Erbringung von Arbeitsleistung zwingt. Auf die Frage, auf welcher Grundlage denn soziale Hilfe in einem endgültig entfesselten Kapitalismus geleistet werden könne, erwidert Janich ohne mit der Wimper zu zucken: „Wie soll es denn jemandem gelingen, in Not zu geraten? Er kann sich ja gegen Unglücksfälle versichern.“ In Janichs brutaler Dystopie sollen Konflikte von privaten „Schlichtungsorganisation gelöst werden, die von beiden Parteien beauftragt werden“, Polizei und Justiz werden von Versicherungskonzernen ersetzt, denn „wenn sich der Verlierer des Prozesses nicht an den Richterspruch hält, verliert er den Schutz durch seine Versicherung. Jeder könnte an ihm also das Urteil „vollstrecken", weil es ja niemandem gäbe, der ihn verteidigt.“
Janich unterliegt dabei grundsätzlich einem uralten Mißverständnis. Es ist nicht der Staat, der die inneren Widersprüche der Wertverwertung verursacht, sondern das kapitalistische System selbst. Wie alle anderen Vertreter der reinen liberalen Lehre kann auch Janich nicht erklären, woher der (Mehr-)Wert, um den es bei jeder Handlung von Marktsubjekten immer geht, eigentlich kommen soll, wenn nicht aus der Anwendung menschlicher Arbeitskraft. Weil aber diese simple Frage unbeantwortet bleibt, tritt an die Stelle von Analyse Fantasie. Das krisenhafte Ansteigen der Arbeitslosigkeit hat nichts mit staatlichen Eingriffen zu tun, ganz im Gegenteil konnte der weitgehend deregulierte Kapitalismus nur durch staatliche Subventionen wie etwa die Abwrackprämie überhaupt erhalten werden. Es liegt stattdessen im zentralen Widerspruch des Kapitalismus selbst begründet. Die von Janich in besagtem Interview geäußerten These, „auch am Arbeitsmarkt gleichen sich Angebot und Nachfrage aus“, ist völlig blind dafür, dass die menschliche Arbeitskraft gerade nicht eine Ware wie alle anderen ist, sondern die einzige, die dem Unternehmer die Möglichkeit bietet, Mehrwert zu erzielen. Diese besondere Ware bildet also die Grundlage des kapitalistischen Funktionierens einerseits, während andererseits der Kapitalist immer bestrebt sein muss, möglichst wenig dieser für ihn überlebenswichtigen Ware einzukaufen, weil seine einzige Aufgabe in der konkurrenzvermittelten Aneignung möglichst großer Anteile der gesamtgesellschaftlichen Mehrwertmasse besteht. Und die Ware Arbeitskraft erscheint auf der Oberfläche des BWL-Verständnisses schlicht als Kosten. Auch hier: Wesen und Erscheinung müssen schon auseinandergehalten werden. Im Übrigen sind die Mechanismen von Angebot und Nachfrage grundsätzlich nur eine Technik zur Steuerung von Warenoutputs und gerade nicht wertbestimmend.
Damit eine anarchistisch organisierte Gesellschaft funktionieren kann, müssen Waren-, Geld- und Tauschwirtschaft durch ein kooperatives Wirtschaften und das Privateigentum durch Gemeinschaftseigentum ersetzt werden, denn: „Eigentum bedeutet, über Dinge zu herrschen und andere daran zu hindern, diese Dinge zu benützen.“ (P. Kropotkin) Andernfalls wird aus der anarchistischen Freiheits-Utopie ein Janich-Alptraum des endgültigen „Jeder gegen jeden“.
Das übrige „Werk“ Janichs besteht aus dem bekannten Truthergebräu aus Klimawandelleugnung, der Behauptung, die FED sei eine private Bank, die Rockefellers schleusten überall Agenten ein, urigen Theorien zu John F. Kennedys Todesumständen und dem 11. September und so weiter und so fort.
Der selbst ernannte Anarchist verbreitet seine Texte heute fast ausschließlich auf den einschlägig bekannten rechtsesoterischen Verschwörungsportalen wie Kopp-online, in Jürgen Elsässers Compact-Magazin oder dem ultrarechten Blatt „eigentümlich frei“, sowie bei dem Ufologen-TV-Sender „Alpenparlament“ und auf seinem eigenen Blog. Seine Bücher veröffentlicht der Finanzbuchverlag, der ansonsten vor allem Karrieretips für Börsenzocker und ähnliches verlegt. Auch als Montagsmahnwachenredner ist Janich bereits in Erscheinung getreten.
Vor seiner Karriere als wahrheitsverkündender „Anarchist“ war er Finanzautor unter anderem für „Focus Money“ und die Süddeutsche Zeitung. Bei beiden Blättern wurde er aber zur persona non grata erklärt, nachdem im „Spiegel“ Ende 2010 in einem Artikel von Ermittlungen gegen ihn berichtet wurde. Demnach habe Janich seine Position als Journalist ausgenutzt, um Börsenkurse zugunsten einiger „dicken Spezln“ aus Unitagen zu manipulieren. Verurteilt wurde Janich nicht, Anfang 2012 geriet er laut Spiegel Online aber erneut im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen Börsenmanipulationen ins Visier polizeilicher Ermittlungen.
Außerdem gründete er im Mai 2009 mit anderen Radikalkapitalisten die „Partei der Vernunft“ (PDV). Im April 2013 wurde es offenbar selbst den Kapitalismusfans der PDV zu bunt und sie setzten ihren Bundesvorsitzenden vor die Tür, worüber dieser sich via Facebook bitterlich beklagte: „Ich bin nicht auf eigenen Wunsch zurückgetreten, sondern man hat mir das Messer auf die Brust gesetzt. Ich hätte noch nicht mal mehr über Bitcoins (!!!) schreiben dürfen (…)“ Janich blieb aber in der Partei, offenbar um sich noch ein weiteres Mal blamieren zu können. So kündigte er großspurig einen „Plan M“ (für „München“) an, in dem er seine kruden Kapitalismusfantasien in konkrete Kommunalpolitik goss und er stellte in Aussicht, an der Bürgermeisterwahl 2014 als Kandidat anzutreten. Die Münchner Bevölkerung lehnte dankend ab, indem sie der Janich-Partei nicht einmal die nötigen Unterschriften spendierte, um überhaupt an der Wahl teilnehmen zu können.
Nach dem Scheitern des Staatssozialismus und mitten in der Krise des weltsumspannenden Kapitalismus muss sich die domestizierte westliche Bevölkerung, die nicht einmal mehr in der Lage zu sein scheint, über Alternativen zu Geld- und Konkurrenzwirtschaft auch nur ernsthaft nachzudenken, ihr trauriges Dogma hübschfantasieren. Ohne Begriff vom eigenen Gegenstand werden Begriffe in einem wild gewordenen Diskurs beliebig und „Anarchismus“ scheint sich dafür anzubieten, da er nicht von einer diktatorischen Vergangheit belastet ist. Bei Redaktionsschluss belegte Janichs Buch übrigens Platz 1 in der Amazon-Bestsellerliste in der Kategorie „Zeitgeschichte Europas“.

Erschienen in Graswurzelrevolution Oktober 2014 (GWR 392)

Und ja, schon gut, Kapitalismus,

Du hast für immer gewonnen und den Sozialismus dahingefegt. Haben wir verstanden. Aber muß es wirklich eine Frankfurter Firma MARX geben, die so für sich wirbt: »Heute ist die MARX-Gruppe als Systemhaus für intelligente Objektlösungen über die Grenzen hinaus bekannt und als zuverlässiger Partner geschätzt. MARX steht für Tradition und Innovation«? Und deren Firmenslogan schließlich »MARX – Fortschritt mit System« lautet? Bleibt dem alten Rauschebart denn gar nichts erspart? Und ist ungehemmte Siegerjustiz nicht manchmal auch ein Zeichen für Dekadenz und baldigen Zusammenbruch?

Denk da mal drüber nach, rät

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 09-2014

Dienstag, 23. September 2014

Barbarei als Geschäftsidee

Die islamistische Terrororganisation IS will ein Kalifat in Syrien und dem Irak errichten. Ihr Erstarken ist auch die Folge rücksichtsloser Geopolitik des Westens. Sie nutzt die staatlichen Zerfallsprozesse in der Region und präsentiert sich wie ein moderner westlicher Konzern.

Als die islamistische Terrorgruppe IS („Islamischer Staat“) Anfang August zum Angriff auf die irakische Wirtschaftsmetropole Erbil ansetzte, ordnete US-Präsident Obama erste Luftschläge gegen Stellungen der Angreifer an. Das kurdische Erbil liegt im Norden des Irak und ist eine der wirtschaftlichen Leuchtturmmetropolen, in denen europäische und US-amerikanische Institutionen die wirtschaftliche Erschließung des irakischen Absatzmarktes betreiben. Die USA sind dort mit einem Konsulat und mehreren US-Soldaten vertreten und auch Deutschland kämpft in dem zerfallenden Staat um ökonomisches Gewicht. Seit Februar 2010 unterhält die deutsche Regierung eigenen Angaben zufolge in Erbil ein „Wirtschaftsbüro, das deutschen und irakischen Firmen ermöglichen soll, in einem nach wie vor schwierigen Umfeld gemeinsame Geschäftsinteressen zu entwickeln und Möglichkeiten der Kooperation zu eruieren.“ Wie schwierig das Umfeld wohl werden würde, wenn die IS-Kämpfer erst einmal vor der Tür der westlichen Institutionen stehen würden, wollte man sich dann wohl doch lieber nicht ausmalen, schließlich hatten die Islamisten zuvor gezeigt, wie sie mit „Ungläubigen“ umzuspringen gedenken. Auf ihrem Vormarsch im Irak und in Syrien, der mit großen Geländegewinnen insbesondere im Irak verbunden war, wurden tausende Menschen hingerichtet oder gefoltert. Laut einem UN-Bericht flohen bis Mitte August 380.000 Iraker vor dem „Islamischen Staat“ in die kurdischen Autonomiegebiete im Norden des Landes, bis zu 50.000 Jesiden wurden tagelang ohne ausreichend Wasser und Nahrung im Sindschar-Gebirge unweit der syrisch-irakischen Grenze von der Miliz belagert und mussten aus der Luft mit Hilfsgütern versorgt werden. US-amerikanische, französische und britische Militärmaschinen überflogen das Gebiet tagelang und warfen Hilfsgüter ab, ehe kurdische Peschmerga-Kämpfer einen Großteil der Eingeschlossenen befreien konnten. Der Zentralrat der Jesiden in Deutschland wies aber darauf hin, dass weitere 200.000 Angehörige der kurdischen Minderheit in den vom IS besetzten Gebieten auf Hilfe angewiesen seien.
Die Entwicklung im Irak läuft für die so genannte westliche Staatengemeinschaft jedenfalls ganz und gar nicht nach Plan, seit dem Rückzug der US-Truppen erlebt das Land einen atemberaubenden staatlichen Zerfallsprozess, eine lohnenswerte wirtschaftliche Ausbeutung des Ressourcen starken Landes bleibt vor diesem Hintergrund fast unmöglich.
Dabei ist der IS gewissermaßen ein Abfallprodukt einerseits der westlichen Interventionspolitik seit dem ersten Irakkrieg und andererseits eine Folge der kapitalistischen Weltkrise, die eine nachholende Modernisierung selbst für brennstoffreiche Volkswirtschaften wie den Irak unmöglich macht.
Bereits Mitte Dezember 2013 hatte der ehemailge CIA-Chef Michael Hayden auf einer Terrorismus-Konferenz des konservativen Washingtoner Think-Tanks „Jamestown Foundation“ erklärt, die angenehmste Option im Syrien-Krieg sei ein Sieg der regulären syrischen Armee sowie ein Verbleib des syrischen Präsidenten Assad im Amt. Zuvor hatten die westlichen Regierungen einen Sturz des Assads zum gemeinsamen Ziel erklärt und die kämpfenden Rebellengruppen in Syrien unter anderem durch Waffenlieferungen unterstützt. Aus dem ursprünglich friedlichen Protest gegen Assad war schnell ein Bürgerkrieg geworden, in dem die aus den Partisanenkämpfen gegen die US-Armee kampferprobten islamistischen Milizen die schlagkräftigsten Einheiten stellten und insbesondere über die Türkei Waffen geliefert bekamen, sowie aus dem wichtigsten arabischen Partnerstaat des Westens, Saudi-Arabien, militärisches Gerät und finanzielle Unterstützung erhalten hatten. So gesehen, ist man nun erneut gezwungen, die Geister, die man gerufen hat, zu bombardieren, um diese an geplanten Massenmorden zu hindern. Dabei gab es bereits frühzeitig auch öffentliche Warnungen. So hatte etwa Rania Abouzeid, Autorin des US-Magzins „Time“, im Sommer 2012 mit einer Reportage für Aufsehen gesorgt. Darin hatte sie ein Bild veröffentlicht, dass einen Rebellen-Checkpoint im Norden Syriens zeigt, an dem eine Flagge mit dem Zeichen Al-Kaidas angebracht war. Außerdem war es ihr gelungen, mit zwei jungen Rebellen-Kämpfern zu sprechen, die ihr erklärten, das Ziel der Milizen sei die Errichtung eines Gottesstaates.
Die Operation „kapitalistische Nutzbarmachung der fernen Peripherie“ ist jedenfalls vorerst gescheitert. Statt einer nachholenden Modernisierung, die dem angeschlagenen westlichen Kapitalismus neue Akkumulationsmöglichkeiten schaffen könnte, erlebt die globalisierte Welt einen kaum für möglich gehaltenen Zerfall staatlicher Strukturen, der vor kaum einer Weltregion mehr haltmacht. Der von dem privaten Washingtoner Think-Tank „Fund For Peace“ in Zusammenarbeit mit dem renommierten US-amerikanischen Außenpolitik-Magazin „Foreign Policy“ jährlich erstellte „failed-state-Index 2013“ vergibt für insgesamt 126 von 178 berücksichtigten Staaten die Kategorien „Alert“ (gescheiterter Staat) oder „Warning“ (akut vom Scheitern bedroht), das sind 20 mehr als noch 2006. Unter den Staaten in der höchsten Kategorie „Sustainable“ (zukunftsfähig) finden sich gerade einmal 14 Staaten, ausschließlich Länder Mittel- und Nordeuropas sowie Kanada, Australien und Neuseeland.
Derweil haben die, die sich die Reste kapitalistischer Reichtumsproduktion mit Waffengewalt und Terror sichern wollen und dabei vor keiner Brutalität zurückschrecken, die Regeln der Kapitalverwertung längst verinnerlicht. Gegenüber dem britischen Telegraph erklärte Jessica Lewis, Direktorin des „Institute For The Study Of War“, der IS habe einen Geschäftsplan und das Geschäftsfeld bestehe in „Expansion durch Eroberung“. Eine detaillierte Aufstellung der Aktivitäten stellt der IS möglichen Geldgebern in einer Form dar, „die in ihrer Aufmachung dem Public-Relations-Abteilungen westlicher Unternehmen entsprungen sein könnte“, wie der Journalist Tomas Konicz feststellt.
Im Internet kann man eine ins Englische übersetzte Version des Prospektes einsehen, in dem die barbarische Geschäftsbilanz des IS penibel aufgelistet ist: Für ihre Investition haben die Geldgeber unter anderem 1015 „Bombenanschläge auf Häuser und Gebetsstätten“, 1083 Morde, 238 Selbstmordattentate, insgesamt 7681 „militärische Operationen“ erhalten.
Der Spätkapitalismus, so scheint´s, macht noch aus seiner eigenen Zerstörung ein offenbar gut gehendes Geschäft.

Erschienen in Graswurzelrevolution 391 (GWR September 2014)

Occupy kehrt zurück

Im Rahmen einer Austellung des Frankfurter Historischen Museums werden von Mai bis September ehemalige Occupy-Camper an die EZB zurückkehren. Mit einem politischen Kunstprojekt.

„Es geht uns auch darum, zu zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Das ist unsere Grenze. Das beste Beispiel ist der Hambacher Forst, wo die Leute den Wald besetzen, um zu verhindern, dass dort Kohle abgebaut wird.“ Pablo Jacoby war während der Besetzung des Platzes vor der EZB in Frankfurt Dauercamper. Knapp zwei Jahre später wird er unter dem Label „Grenzverhandlungen“ mit einigen Mitstreitern an den Ort des Geschehens zurückkehren – mit einem Projekt, das auf andere Art den von Occupy angestoßenen Diskurs in den öffentlichen Raum tragen will.
Im Rahmen der Austellung „Park in Progress. Stadtlabor unterwegs in den Wallanlagen“ will die Gruppe um die Frankfurter Künstlerin Helga Franke das Thema des so genannten Frankfurter Stadtlabors, nämlich die historischen Grenzbefestigungen der Stadt Frankfurt zum Ort künstlerischer, öffentlicher Auseinandersetzung zu machen, in die moderne Innenstadt verlängern. Dazu werden die Aktivisten, die sich eigenen Angaben zufolge im Occupy-Camp kennengelernt hatten, eine symbolische Grenze aus Bauzäunen an dem Ort errichten, an dem die Occupyer fast ein Jahr sichtbares Zeichen des Protestes in der Bankenmetropole waren. „Das Camp“, sagt Veronika Czech, „war ein Ort, an dem die FrankfurterInnen ins Gespräch kamen, auch über Dinge, die sie vor Ort betreffen. Daran wollen wir anknüpfen, den Ort repolitisieren und wir hoffen, dass das auch über das Schreiben und Malen hinausgehen wird.“ An den Bauzäunen, die bis September stehenbleiben werden, wird es nämlich für die Bewohner und Besucher der Stadt die Möglichkeit geben, sich mit Texten, Plakaten oder Bildern zu verewigen und so das künstlerische Endprodukt mitzugestalten. „Wir wollten wieder zurück an den Ort des Occupy-Camps, aber diesmal mit einem neuen Medium“, sagt Franke und sie hoffe, „dass sich der inhaltliche Diskurs auch formal visualisiert“.
Die Verwaltungsbehörden seien zwar nicht begeistert gewesen, das Grünflächenamt habe darauf gedrungen, dass der Rasen nicht beschädigt werde und es seien auch nur die Hälfte der beantragten Bauzäune genehmigt worden, berichten die Aktivisten von ihren Verhandlungen mit der Stadt Frankfurt, mit der nun zugesagten Fläche sei man aber sehr zufrieden.
Das Stadtlabor ist eine Initiative des Frankfurter historischen Museums. Es werden dabei regelmäßig Ausstellungen organisiert, die „einem partizipativen Grundgedanken“ folgen, wie es auf der Homepage des Projekts heißt. 2014 werden die historischen Wallanlagen zum Ort der Ausstellung. Das historische Museum begleitet die Occupy-Aktivisten schon seit geraumer Zeit mit Ausstellungen und Aktionen.
Alle Informationen zum Stadtlabor und dem Projekt der Occupyer finden sich unter
http://wallanlagen.stadtlabor-unterwegs.de/?page_id=94 beziehungsweise
http://www.grenzverhandlungen.de/

Erschienen in Graswurzelrevolution 390 (GWR Sommer 2014)

Häuserkampf statt Eiersuche

Linke Aktivisten besetzten in einer konzertierten Aktion am Ostersonntag zwei leerstehende Häuser im Frankfurter Gallusviertel. Nach der Räumung beider Gebäude erfuhren sie mehr Unterstützung aus der Frankfurter Bevölkerung als erwartet.

Das Klima zwischen der politischen Linken und der Polizei in Deutschlands Bankenmetropole ist spätestens seit der Einkesselung von knapp 1000 Demonstranten im Zuge der Blockupy-Proteste im Sommer 2013 nachhaltig vergiftet.
Als am Nachmittag des Ostersonntags ein vom Abriss bedrohtes Haus nahe des Frankfurter Gallus Theaters von linken Aktivisten besetzt wurde, reagierte die Polizeiführung aggressiv. Rund 30 Besetzer hatten sich in dem Haus in der Weilburger Straße verschanzt, als die Polizei mit mehreren Einsatzwagen anrückte, den Zugang zu dem Gebäude blockierte und die vor der Zufahrt versammelten rund 50 Unterstützer aufforderte, die Zufahrt zu verlassen. Sie könnten, so die Polizeidurchsage, dort weiterdemonstrieren. Warum man seitens der Polizeiführung auf einem Ortswechsel von rund 30 Metern bestand, blieb unklar, aber Einsatzleiter Holger Rohlfing erklärte gegenüber den anwesenden Journalisten: „Wenn die nicht mitmachen, kriegen die eben eins in die Fresse.“ Das Haus wurde am Ostermontag nach rund 24stündiger Belagerung durch die Polizei von den Aktivisten freiwillig verlassen.
Nur kurz nach der ersten Besetzung wurde von einer deutlich größeren Gruppe ein weiteres Gebäude, keine 15 Minuten Fußweg entfernt, ebenfalls in Beschlag genommen. Diese zweite Aktion stand unter dem Motto „IvI resurrection“, was sich auf das vor Jahresfrist geräumte „Institut für vergleichende Irrelevanz“ nahe des alten Frankfurter Uni-Campus bezog. Bis Montag Abend war das Haus besetzt, offenbar genügten die verfügbaren Polizeikräfte nicht, um die Zugänge zu dem weiträumigen Gelände zu blockieren, sodass sich bald Familienfeststimmung einstellte. Es wurde gegrillt, mehrere Kinder spielten vor dem besetzten Objekt und ein Kulturprogramm wurde organisiert.
Den für die Besetzungen verantwortlichen linken Gruppen geht es neben der Suche nach einer neuen Unterkunft für das IvI vor allem darum, auf die zunehmende Gentrifizierung der Frankfurter Innenstadt hinzuweisen. Das besetzte Haus werde „vielen Frankfurtern zurückgeben, was sie unabhängig ihres Kontostands verdienen“, hieß es in einer Erklärung. Man kritisiere, „dass die Frankfurter Kommunalpolitik Stadtentwicklung hauptsächlich Mechanismen des kapitalistischen Marktes“ überlasse, wer sich Kaltmieten von über 12 Euro pro Quadratmeter nicht leisten könne, werde aus der Stadt verdrängt.
Im Frankfurter Gallus soll bis 2019 das so genannte Europaviertel entstehen. Ein Prestigeprojekt, bei dem ein künstliches neues Stadtviertel mit Büros, Hotels und hochpreisigen Wohnungen geschaffen werden soll.
Nachdem am Dienstag nach Ostern auch das zweite Gebäude geräumt worden war, verlor die Polizei zwei Tage später bei einer nicht angemeldeten Solidaritätsdemonstration mit über 600 Teilnehmern am Donnerstag Abend zeitweise die Kontrolle über die Situation. Offenbar hatten sich mehr Frankfurter Bürger den Protesten gegen die horrenden Mietsteigerungen der letzten Jahre angeschlossen, als von der Polizeiführung erwartet. Am altehrwürdigen Opernplatz herrschten eine Stunde lang chaotische Zustände, ehe die Polizei mit einem Großaufgebot die Lage zumindest vor der Alten Oper wieder in den Begriff bekam.
Später teilte sich der Demonstrationszug, mitten auf der zentralen Frankfurter Einkaufsmeile „Zeil“ kam es später erneut zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstrationsteilnehmern und den Ordnungshütern. Stundenlang kreiste ein Polizeihubschrauber über der Stadt, erst gegen 22 Uhr beruhigte sich die Situation.

Erschienen in Graswurzelrevolution Sommer 390 (Sommer 2014)

Neue Friedensengel

Die neuen "Montagsdemonstrationen" als Teil der Querfrontstrategie von Elsässer, Jebsen, Mährholz und anderen rechten Verschwörungstheoretikern

So genannte Montagsdemonstrationen sorgten zuletzt für nicht unerhebliches Aufsehen. Die dort betriebene Vermischung von Kapitalismuskritik und unhaltbaren Behauptungen diskreditieren auch ernsthafte Bemühungen um antikapitalistische und antimilitaristische Kritik.


Plötzlich war von Querfront die Rede, die Mainstreampresse von Spiegel bis Zeit widmete sich der Sache, der Fernsehsender 3sat berichtete in seiner Sendung "Kulturzeit" und schließlich machte sich auch noch die heute-show über die neuen Montagsfriedensmahnwachen lustig.

Aufgeregt wurden Facebook und andere Foren der sozialen Communities vollgeschrieben, Hitler- und Goebbels-Vergleiche erfreuten sich noch größerer Beliebtheit als ohnehin schon und die Gemüter wollten sich über Wochen nicht wieder beruhigen.

Zig Facebook-NutzerInnen posteten Bilder von sich, auf denen sie Hüte aus Aluminiumfolie auf dem Kopf hatten und der ehemalige Chefredakteur des Satirmagazins Titanic, Leo Fischer, kommentierte stellvertretend für schätzungsweise 99 Prozent der Bevölkerung: "Ich las dieser Tage häufiger den Ausdruck 'Aluhut' bzw. 'Aluhut-Fraktion'. Ich vermutete darunter eine mir nicht bekannte radikalarabische Politgruppierung (al-úhut), so ähnlich wie man ja auch Wörter wie 'Al-Aksa', 'Zapatisten' etc. liest und für voll nimmt, ohne den blassesten Schimmer von ihrer Bedeutung zu haben."

Die Aluhüte sollen indes vor Chemikalien schützen, die einige der DemonstrationsteilnehmerInnen in den Kondensstreifen von Flugzeugen vermuten.

Am 30. März 2014 hatte Jutta Ditfurth auf ihrer Facebookseite verkündet, es sei "lehrreich, mit wieviel Hass und Dreck man beworfen wird, nur weil man Leute 'entfreundet', die mit Ken Jebsen befreundet sind bzw. Ihn liken." Auf diesen Eintrag folgten über 200 Kommentare anderer FacebooknutzerInnen, Ditfurth wurde darin teils übel beschimpft. Damit war der Stein ins Rollen gebracht.

Ken Jebsen ist ein ehemaliger Radiomoderator des RBB und Identifikationsfigur vieler MontagsdemonstrantInnen. Beim RBB wurde er 2011 wegen antisemitischer Äußerungen vor die Tür gesetzt und setzte sein Treiben seitdem und bis heute im Internet unter dem Titel KenFM fort, nach eigener Aussage "crowdfinanziert".

In seiner Sendung gibt er schon einmal dem Ufologen und Finanzapokalyptiker Franz Hörmann eine Bühne oder fabuliert von "radikalen Zionisten mit US-Pass, deren Hobby Israel ist und deren Lieblingssport im Schlachten von Arabern besteht".

Er gilt als das bekannteste Gesicht einer Bewegung, die behauptet, für "die Wahrheit" zu kämpfen und unter dem Label "truther" bereits seit längerem in erster Linie im Internet ihr Unwesen treibt. Das Hauptargument der truther ist die Behauptung, die "Wahrheit" hinter den weltpolitischen Vorgängen werde von den Massenmedien böswillig und systematisch verschleiert, weshalb es nun einer Bewegung bedürfe, die diese endlich ans Licht bringe. Ein weiterer Protagonist dieser absonderlichen Szene ist der ehemalige junge Welt-, Jungle World- und Konkret-Redakteur Jürgen Elsässer, der nach Stationen im Kommunistischen Bund und als Guru der pro-israelischen Antideutschen nun erneut die Sekte gewechselt hat und sich mit dem von ihm gegründeten Magazin Compact offenbar zum Anführer der Wahrheitsfreunde aufschwingen will. Auch Jebsen betätigt sich als Autor im Elsässer-Magazin, das mit dem Slogan "Mut zur Wahrheit" für sich wirbt.
Jetzt oder nie: Verschwörungstheorie

Soweit sich das nachvollziehen lässt, fand die erste der Montags-Veranstaltungen, die als Mahnwachen angemeldet wurden und auf denen später sowohl Jebsen als auch Elsässer als Redner auftraten, am 17. März 2014 in Berlin statt. Initiator und Anmelder war ein gewisser Lars Mährholz, der in einem Interview mit KenFM angibt, er sei hauptberuflich Fallschirmspringer und ehemaliger Eventmanager. Mährholz gibt auch Auskunft über seine Sicht der Dinge. Er behauptet unter anderem, die amerikanische Notenbank FED sei schuld an allen Kriegen der vergangenen einhundert Jahre und es müsse alle 50 bis 100 Jahre einen Krieg geben, "sonst funktioniert das ganze System nicht."

Auf die Frage, was denn die von ihm initiierte Montagsdemobewegung inhaltlich beizutragen habe, erklärt der Verschwörungstheoretiker Mährholz, man wolle erneut eine Mauer zu Fall bringen, diesmal jedoch die Mauer in den Köpfen der Menschen: "Die Menschen müssen Wissen bekommen, was halt nicht allgemein zugänglich ist, was nicht in der Schule gelernt wird, was nicht kommuniziert wird in Medien. Es gibt ne Wahrheit und die muss man halt mal erkennen."
Unter Weltpolitik macht man's nicht

Letztlich, so scheint es, sind Elsässer, Jebsen und Konsorten vor allem daran interessiert, mit ihrer Wahrheitshuberei Geld zu verdienen. Man nehme Versatzstücke linker Kapitalismuskritik, dazu populistische Ressentiments (Israel, USA, die Rothschilds, alles pauschal böse, das Übliche eben) und einen Schuss Verschwörungstheorie, schließlich dick "Wahrheit" und "ehrlicher Journalismus" draufgeklatscht und fertig ist eine Suppe, die sich in Zeiten von Sarrazin, Pirincci und Fleischhauer bestimmt irgendwie verscherbeln lässt. Zu Werbezwecken machen sich da Demos, die zumindest ein Rauschen im Blätterwald erzeugen, nicht schlecht und sie kosten wenig.

Vor allem Jebsen zeigt ansonsten keine Berührungsängste mit dem Großkapital. Wenn es ihm Geld bringt, lässt er sich von Großkonzernen wie der ProSiebenSat1-Mediengruppe, der Telekom oder dem Brausehersteller "Red Bull" nur allzu gern großzügig für seine Moderatorendienste bezahlen. Elsässer muss, insbesondere nachdem ihm kaum eine Zeitung in Deutschland mehr einen Artikel abnimmt, auch irgendwie über die Runden kommen und wie man mit Fallschirmspringen Geld verdient, dürfte Mährholz' Geheimnis bleiben.
Dennoch

Die Macher der vermeintlichen Friedensdemos treffen offenbar einen Nerv bei mehr Menschen als gedacht. Die Tatsache, dass zumindest in Berlin sowohl am Ostermontag als auch eine Woche später rund 1500 TeilnehmerInnen die truther-Veranstaltungen besuchten, zeigt, dass hier offenbar ein Bedürfnis nach sehr schlichten Antworten besteht, ohne sich mit Bakunin, Marx oder Adorno beschäftigen zu müssen.

Wer eine der Montagsdemos besucht, wird feststellen, dass sich hier in erster Linie die Abgehängten, Unterprivilegierten treffen und wer in einem Schulsystem, das marktkompatible Allroundwisser per Notendruck und Prüfungsdrohung zu produzieren versucht, nicht mitkommt und sich schließlich als mies bezahlte Krankenschwester oder Erzieherin in einer Gesellschaft wiederfindet, die für solche Art "Loser" nichts übrig hat als die Drohung mit Hartz IV, der wird nicht als erstes auf die Idee kommen, drei Bände Marxsches Kapital zu lesen. Und wenn man keinen blassen Schimmer hat, klingt eine Weltverschwörung auch nicht unplausibler als die Annahme eines sich systematisch selbst verwertenden Werts.

Zum notwendigen Diskurs über die brutalen Folgen der kapitalistischen Warenproduktion tragen die WahrheitsfreundInnen indes nichts bei. Ihre Behauptung, die amerikanische Fed werde von "den Rothschilds" und "den Rockefellers" gelenkt und diese schürten absichtsvoll Kriege, ist genauso haltlos wie die Idee, der Zinseszins oder die Giralgeldschöpfung der Banken sei schuld an der schlimmen kapitalistischen Welt.

Das Fed-System ist ziemlich transparent und die wichtigen EntscheidungsträgerInnen werden von den demokratisch gewählten VertreterInnen im US-Senat bestimmt. Ein Einfluss der genannten Familien auf die Fed-Politik lässt sich seriös schlicht nicht nachweisen und selbstverständlich können Geschäftsbanken nicht einfach Geld erschaffen ohne die ausgegebenen Sichteinlagen und Kredite zu bilanzieren und dafür zu haften.

Statt dezidiert darzulegen, wie etwa in den Gebühren finanzierten Anstalten Desinformation betrieben wird, werfen die WahreitsfreundInnen den JournalistInnen vor, dass sie deren selbstgemachte Wahrheiten nicht "kommunizieren" wollen.

Dabei können sich die InitiatorInnen der Montagsmahnwachen über die mediale Resonanz ihrer substanzlosen Kleinkundgebungen nun wirklich nicht beschweren.

Diese bestehen fast ausschließlich aus Distanzierungen von Antisemitismus und Verschwörungstheorien, Forderungen nach "Wahrheit", sowie in Lamentos über die bösen Banker und dauernden Selbstvergewisserungen nach dem Motto: "Es ist so schön, dass ihr alle da seid."

Nach außen sind die Friedensfreunde allerdings nicht sehr friedlich. KritikerInnen wie Andreas Hallaschka oder Jutta Ditfurth wurden übel beschimpft, es kursiert sogar ein widerliches Droh- Video gegen Hallaschka im Internet.

Die Kredit getriebene spätkapitalistische Ökonomie und daraus erwachsende Interessenskonflikte, die auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen können, müssen genauso kritisiert werden wie der westliche Imperialismus und die oft einseitige Berichterstattung der großen Medien. Jüdische Bankiersfamilien, den Zins, die Giralgeldschöpfung oder die Fed dafür verantwortlich zu machen, ist aber Kritik auf Kindergartenniveau, ebenso wie Jebsens Gewäsch von Pyramidensystemen. Derartige Hirngespinste als Wahrheit verkaufen zu wollen, erfordert einen gewissen Mut zur Unwahrheit und die Lamoryanz, mit der man beweint, von niemandem ernst genommen zu werden, ist tatsächlich mitleidserregend.
Gescheitert

Die Querfrontstrategie von Elsässer, Jebsen und Co. ist jedenfalls vorerst gescheitert.

Außer einigen linken ProtagonistInnen um den trotzkistischen Attac-Funktionär Pedram Shayar und die Linken-MdBs Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke fiel kaum jemand auf das durchsichtige Gerede herein, wonach die politischen Kategorien von links und rechts nicht mehr zeitgemäß seien.

Die deutsche Rechte, die Geldkritik- und Esoterikszene ist seit Jahren bemüht, ein Bein auf den Boden zu bekommen, indem sie linke, esoterische und verschwörungstheoretische Vorstellungen zu vereinen und diese anschlussfähig zu machen versucht. Damit sollen offenbar innerlinke Auseinandersetzungen genutzt werden, um die eigenen Verkaufszahlen und Reichweite von Produkten wie Compact oder KenFM zu erhöhen.

Der kapitalismuskritische Diskurs wird aber zum Leidwesen der selbst ernannten Wahrheits- und FriedensfeundInnen selbst zwischen verfeindeten linken Gruppen längst zumindest so solidarisch und fundiert geführt, dass totaler Blödsinn über die Lager hinweg erkannt wird, was die einhelligen Reaktionen nahezu aller relevanten linken Medien und Organisationen zeigt.

Jetzt als Friedensengel getarnt einige Gutmeinende auf die Straße zu bringen, ist also der neueste Versuch, Fuß zu fassen und im sich gerade organisierenden antikapitalistischen Lager zu fischen.

Die NPD fand es jedenfalls gut.

Gastbeitrag des Kollegen Bruno Mehrland, erschienen in Graswurzelrevolution 390 (GWR Sommer 2014)

Ungewohnte Forderungen aus Deflationsangst

Bei einem Arbeitstreffen mit Gewerkschaftern forderte die Bundesbank höhere Tarifabschlüsse
Die Forderung der Bundesbank, die Gewerkschaften mögen doch höhere Tarifabschlüsse anstreben, finden diese nicht nur begrüßenswert.


In der nicht enden wollenden Krise des europäischen Kapitals kommen erste, bisher nicht gerade für ihre beschäftigtenfreundlichen Ansichten bekannte Institutionen zu erstaunlichen Einsichten. So forderte der Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank, Jens Ulbrich, höhere Lohnabschlüsse. Die Gewerkschaften hätten, so Ulbrich, in den letzten Jahren »sehr verantwortungsbewusst Lohnzurückhaltung geübt«, nun aber seien höhere Lohnabschlüsse notwendig und geboten. Diese Aussagen zitierte der »Spiegel« in seiner aktuellen Ausgabe. Sie entstammen einem Arbeitstreffen mit Wirtschafts- und Tarifexperten aus dem DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften Ende Juni.
nd-App

Ins gleiche Horn stieß der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, und verwies auf die Reallohnsenkungen der letzten 15 Jahre. Angesichts der anhaltenden Krise in Europa hatte bereits zuvor IWF-Chefin Christine Lagarde vor einer »hartnäckig niedrigen Inflation« gewarnt, da diese eine Gefahr für das Wachstum darstelle. Es zeichnet sich damit weiterhin das Scheitern der ultralockeren Geldpolitik ab und damit einhergehend eine gewisse Verzweiflung bei den Verantwortlichen.

Die Forderung nach Lohnerhöhungen ist zwar für die Beschäftigten in Deutschland erfreulich, nur hat die Sache einen doppelten Haken. Dieser besteht einerseits in der Tatsache, dass die Lohnzurückhaltung der deutschen Arbeitnehmer tatsächlich zu einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie geführt hat und andererseits darin, dass bei der mittlerweile manifesten deutschen Abhängigkeit vom Export selbst eine geringe Kaufkrafterhöhung die Exportausfälle kaum wird kompensieren können. Die europäischen Nachbarstaaten sind unverändert weit davon entfernt, Wachstumsmärkte zu sein.

Wie ist es dann zu verstehen, dass die Gralshüter deutscher Geldpolitik die Gewerkschaften zu weniger Lohnzurückhaltung aufforderten?

»Sicherlich herrscht auch in der Bundesbank eine gewisse Furcht, vor den Folgen einer Deflation. Wir stehen ja kurz davor«, sagt Sabine Reiner von der Abteilung Wirtschaftspolitik beim ver.di-Vorstand gegenüber »nd«. Daher komme das Nachfrageargument auch »von ungewohnter Seite«. Die Bundesbank hatte sich in den letzten Jahren stets damit hervorgetan, die Gewerkschaften vor zu hohen Lohnforderungen zu warnen.

Der jüngste Wunsch der Bundesbank könne auch als »eine Unterstützung der Gewerkschaften« verstanden werden, in kommenden Tarifrunden mit »selbstbewussten Forderungen« aufzutreten. Ohne die Verzahnung mit gewerkschaftlicher Lohnpolitik, könne die Geldpolitik der Bundesbank keinen Erfolg haben. »Es wäre aber schön gewesen, hätte die Bundesbank auch auf den Zusammenhang von Arbeitsmarktpolitik und Lohnentwicklung hingewiesen«, so Reiner weiter. Wer jahrelang mehr Prekarität fordere, dürfe sich über kaum steigende Löhne nicht wundern.

»Höhere Löhne fallen nicht vom Himmel«, stellte Michael Schlecht, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag am Montag fest. Zum einen hätte die Bundesbank die Bundesregierung auffordern sollen, »die gewerkschaftliche Durchsetzungsmacht zu stärken«. Dazu zählen ein Verbot des Missbrauchs von Werkverträgen oder die Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, so Schlecht.

»Lohnerhöhungen sind angesichts der guten Konjunktur, der schwachen Inlandsnachfrage der vergangenen Jahre und der drohenden Deflation ökonomisch allemal gerechtfertigt«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell am Montag in Berlin. Doch das Führen von Tarifverhandlungen mit der Unternehmerseite sei immer noch eine Angelegenheit der Gewerkschaften so Körzell weiter. Zudem sei jedoch fraglich, warum die Bundesbank in den vergangenen Jahren so vehement gegen den Mindestlohn argumentiert hat. »Denn jeder Cent mehr, den ein Arbeitnehmer, eine Arbeitnehmerin dank dem Mindestlohn ab 2015 ins Portemonnaie bekommt, wird vollständig in den Konsum fließen und dem Preisverfall entgegentreten«, so Stefan Körzell.

Gemeinsamer Text von ND-Redakteur Jörg Meyer und mir, erschienen in Neues Deutschland vom 22.7.2014

Du, »Süddeutsche Zeitung«,

bist ja immer auf Zack und von jeher Expertin für »Aktuelle Trend-Themen«, die Du täglich auf Deiner Homepage präsentierst. Wir freuen uns jedenfalls immer über Zusammenstellungen wie »Irak, Nationalmannschaft, Edward Snowden, TTIP-Recherche, Windows, Zähne, Ebola, Kaffee«. Denn Du hast ja recht: alles echte Trends, alles schwer im Kommen. Und das Beste: Du bist nicht dabei!

Es grüßen Dich, Kaffee trinkend, die mit Windows-PCs, Zähnen, Ebola und einem Faible für TTIP-Recherchen ausgestatteten irakischen Nationalspieler und Snowden-Fans von

Titanic

Erschienen in
Titanic-Magazin 09-2014

Freiburger Soziologe Sebastian J. Moser!

Pfandsammler wühlen gar nicht aus Armut in Mülleimern, vielmehr sei der Grund »die Sehnsucht nach einer festen Tagesstruktur und einer Aufgabe, die an Arbeit erinnert«. So jedenfalls faßte »Spiegel online« Deine Dissertation zum Thema zusammen. In der hast Du herausgefunden, daß damit sowieso keiner reich werde. Die meisten hätten »noch andere Einnahmequellen wie Rente oder Mini-Jobs«.

Alles in allem, Moser, ist also Pfand sammeln und Soziologe sein nahezu das gleiche, was?

Trinkt sowieso nur Einweggetränke:

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 08-2014

Sie wiederum, BDI-Präsident Ulrich Grillo,

erläuterten der Rheinischen Post Ihre Vorstellungen von einem flexiblen Rentensystem: »Wir müssen mehr dazu kommen, daß die Menschen größere Wahlmöglichkeiten haben und nicht fragen: Wie lange müssen wir arbeiten? Sondern: Wie lange dürfen wir arbeiten?« Uns, Grillo, drängt sich da aber eine ganz andere, ebenfalls sehr beliebte Frage auf: die mit dem alten Verein von z.B. Ulrike Meinhof und wo der wieder steckt, wenn man ihn braucht.

Um Antwort bittet:

Titanic

Erschienen in
Titanic-Magazin 07-2014

Soweit, Jürgen Elsässer,

wir das aus sicherer Entfernung mitverfolgt haben, kommst Du bei Deiner offenbar lange geplanten Schlagerstarwerdung gut voran. Die Fönfrisur und die reaktionären Ansichten hast Du Dir ja bereits wachsen lassen, und wie wir Deinem Blog entnehmen, hast Du Dich auch in die Materie gut eingearbeitet. Unter dem Titel »Eurovision: Statt Ekelwurst – ich will Lena zurück!« schwadronierst Du verdruckst homophob, der ESC sei »schon immer etwas für ein besonderes Völkchen« gewesen, und trotz des Votums von »ein paar Millionen aus der gender-affinen Subkultur« verkaufe jemand wie Helene Fischer weiterhin mindestens »das Zehnfache« von »dieser eierlegenden Wollmilchsau«, die diesmal gewonnen habe.

Der nächste logische Schritt, Elsässer, kann da doch nur Deine Bewerbung als nächstjähriger Vertreter Deines neuerdings so geliebten Deutschland sein! Trau Dich, als richtiger Mann, wir ekeln uns jetzt schon.

Aus welcher Höhe genau Du so um die Jahrtausendwende auf den Kopf gefallen bist, wüßte indes zu gern einmal

Titanic

Erschienen in
Titanic-Magazin 06-2014

Mittwoch, 28. Mai 2014

Eine bodenlose Unverschämtheit

Während sich das Blockupy-Bündnis den anstehenden Protesten widmet, arbeitet die Justiz die Vorfälle rund um den Polizeikessel beim letzten Protestevent auf. Dabei kommt es zu erstaunlichen Einsichten.

Bereits im Juni vergangenen Jahres war ein Verfahren vor dem Frankfurter Amtsgericht gegen den Blockupy-Aktivisten Jan aus Düsseldorf nach nur zehn Minuten eingestellt worden. Dem 28jährigen wurde Widerstand gegen eine Festnahme vorgeworfen, er habe einen Beamten geschlagen. Der Richter hatte bald genug und beendete die Farce mit Zustimmung des Staatsanwaltes und dem gelangweilten Kommentar, der angeblich geschlagene Beamte habe seinen Dienst ja problemlos fortsetzen können.
Die Stimmung im Gerichtssaal des Frankfurter Amtsgerichts war auch Anfang April 2014 bestens, als ein weiterer Aktivist sich für seine Straftaten im Zuge der Blockupy-Proteste Anfang Juni 2013 verantworten musste. Dem 53jährigen Hagen K. wird zur Last gelegt, er habe bewaffnet an der Demonstration teilgenommen, wobei seine Bewaffnung laut Staatsanwaltschaft im Tragen einer mit Hartplastik verstärkten Baseballkappe, zweier Unterarmschützer aus Plastik sowie dem Mitführen von Arbeitshandschuhen bestanden haben soll. Ungewöhnlich, der Sache aber nicht unangemessen, mokierte sich der Angeklagte in seiner Einlassung, der gegen ihn erhobene Strafbefehl sei eine „bodenlose Unverschämtheit“, was die Richterin offenbar überzeugte, schließlich schlug sie bald eine Einstellung des Verfahrens vor. Oberstaatsanwalt Olaf König hingegen besteht auf seiner Anklage und fordert mindestens eine symbolische Geldstrafe, die der Angeklagte, so der Staatsanwalt, ja eventuell an die Polizeigewerkschaft entrichten könnte. Spätestens jetzt erreichte die Stimmung im mit Blockupy-Aktivisten gut gefüllten Gerichtssaal ihren Siedepunkt und das ehrwürdige Amtsgericht erinnert eher an die Comedy-Bühne im nahe gelegenen Stalburg Theater. Die Frankfurter Rundschau kommentierte treffend: „Am Ende wirkt es fast so, als wäre Oberstaatsanwalt Olaf König der strittige Strafbefehl selbst ein wenig peinlich. Der Kollege, der ihn ausgestellt habe, sei jetzt nicht hier, aber der mache schließlich auch nur seine Arbeit, sagt König in leicht beleidigtem Tonfall.“ Dennoch bleibt König bei seinem Antrag, was die Richterin schließlich mit der Vertagung des Verfahrens quittiert – die Polizisten, die Hagen K. aus dem Kessel begleiteten, sollen noch als Zeugen aussagen. Der Besucherandrang für diese Veranstaltung dürfte noch größer werden.
Derweil werden die ernsten Folgen der Troika-Politik in den Staaten der europäischen Südperipherie, gegen die sich das Blockupy-Bündnis wendet, auch in diesem Jahr Anlass für Proteste sein. Dabei wird es unter anderem im Mai Aktionen in verschiedenen deutschen Städten geben. Unter dem Motto "Solidarity beyond Borders – Building Democracy from below" wird es in Berlin, Düsseldorf, Hamburg und Stuttgart zu Protestaktionen kommen. Auch in anderen europäischen Ländern, unter anderem Italien, Frankreich, Holland, England und Dänemark, sind für den Zeitraum vom 15. bis 25. Mai Protestaktionen geplant.
Die Proteste in Deutschland sollen vor allem am 17. Mai stattfinden, neben Demonstrationen sind Aktionen zivilen Ungehorsams geplant, die an den lokalen Gegebenheiten anknüpfen sollen. So richten sich die Proteste in Düsseldorf gegen die Luxusmeile „Kö“, während etwa in Berlin der „Flüchtlingsmarsch von Straßburg nach Brüssel“ begleitet werden soll.
Außerdem ruft das Blockupy-Bündnis zu einer Großdemonstrationen am 17. Mai in Hamburg auf sowie zur Teilnahme an den Protestaktionen in Brüssel zwei Tage zuvor anlässlich des „European Business Summit“, einem jährlichen Treffen von Wirtschaftseliten und führenden Politikern.
Für die Blockade der Eröffnung des neuen EZB-Towers in Frankfurt, deren genauer Termin noch nicht bekannt ist, mobilisiert das Bündnis zu einer Großdemonstration am „Tag X“.
Alle Informationen zu den geplanten Aktionen können Interessierte auf der Website https://blockupy.org/ einsehen.

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 389

Ein gekaufter Boom

Die Türkei galt über mehr als ein Jahrzehnt als eines der erfolgreichsten Schwellenländer. Der große Aufschwung scheint aber vorbei – was bleibt, ist ein Schuldenberg.

Im Sommer 2011 war die Welt in der Türkei noch in Ordnung. Regierungschef Erdogan erschien als unangefochtener Lenker hinter dem wirtschaftlichen Erfolg des Landes und gab den westeuropäischen kapitalistischen Zentren Ratschläge. „Die Finanzkrise hat gezeigt, dass Europa mehr Dynamik und Veränderung benötigt: Europas Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen sind komatös. Die europäischen Volkswirtschaften stehen still“, kommentierte er damals die Probleme der anderen im US-Magazin „newsweek“. Der „Focus“ beschrieb die Türkei als „kräftigen jungen Mann, der nun gewissermaßen über die EU-Grenze die Krankengeschichten der Älteren verfolgt.“
Mit der Herrlichkeit der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte am Bospurus ist es keine 3 Jahre später erst einmal vorbei. Erdogan selbst ist schwer angeschlagen, die türkische Notenbank sah sich Ende Januar gar zu einer Notoperation gezwungen und erhöhte den Leitzins gleich um 5,5 Prozent, von 4,5 auf 10 Prozent. Hintergrund war eine starke Abwertung der türkischen Lira und eine Inflationsrate von über 7 Prozent im Januar 2014.
Dass die türkische Währung Anfang 2014 unter Druck geriet, hatte mehrere Ursachen und zeigt deutlich, wie abhängig die türkische Volkswirtschaft von Kapitalzuflüssen ist. Die Aussicht auf steigende Zinsen in den kapitalistischen Zentren und vor allem den USA ließ nach den Ankündigungen der US-Notenbank Fed, die Liquiditätsspritzen für die US-Wirtschaft zurückfahren zu wollen, die Währungen verschiedener Schwellenländer abrutschen, weil Anleger ihr Kapital massenhaft abzogen, um es in die heimischen Märkte umzuschichten. Mit den politischen Turbulenzen, den Korruptionsskandalen und den Protesten in Istanbul stieg das Risiko für Türkei-Anlagen zusätzlich – Investoren scheuen politische Instabilität. Ein weiteres spätkapitalistisches Wirtschaftswunder war entzaubert.
Im Grunde krankt die nachholende kapitalistische Entwicklung in der Türkei ebenso wie in fast allen anderen Staaten der kapitalistischen Peripherie an der Unmöglichkeit, die eigene Wirtschaft nachhaltig wettbewerbsfähig zu machen. Der Rückstand zu den entwickelten Ökonomien ist hinsichtlich der zu leistenden Kosten, die ein Land wie die Türkei aufbringen müsste, um das Produktivitätsniveau etwa Deutschlands zu erreichen, so unvorstellbar groß, dass eine Annäherung praktisch unmöglich ist. So wurden laut OECD-Studie in der Türkei im Jahre 2010 knapp über 25 Dollar Inlandsprodukt pro Arbeitsstunde generiert, in Deutschland waren es rund 52 Dollar. Selbst nach knapp einem Jahrzehnt mit Wachstumsraten von teilweise um die 10 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes ist die türkische Wirtschaft in Punkto Wettbewerbsfähigkeit weit davon entfernt, den entwickelten kapitalistischen Zentren auch nur das Wasser zu reichen. In den Jahren 2012 und 2013 normalisierten sich die Wachstumsraten schließlich auf rund 3 Prozent, was die Probleme der türkischen Wirtschaft endgültig zu Tage treten ließ.
Diese bestehen in erster Linie in einer enormen privaten Verschuldung und einem großen Außenhandelsdefizit. Das ausländische Kapital floss in den Boomjahren vor allem in den Immobiliensektor, die Textilindustrie und in Konsumentenkredite.
Die Zuwachsraten beim BIP verdankte die türkische Wirtschaft, ganz im Gegenteil etwa zu Deutschland, vor allem einer steigenden Binnennachfrage, die dauerhaft stärker stieg als die Exporte. In den vergangenen 10 Jahren hat sich dabei zwar das Durchschnittseinkommen in der Türkei verdoppelt, die Schulden der privaten Haushalte haben sich im gleichen Zeitraum aber verachtzehnfacht. Wie die Oppositionspartei CHP mitteilte, stieg der Anteil der Privatverschuldung am verfügbaren Einkommen von 5,5 Prozent im Jahr 2003 auf über 50 Prozent im Jahr 2013. Die zu einem großen Teil kreditfinanzierten Nachfragesteigerungen bei gleichzeitig mangelnder Wettbewerbsfähigkeit führen unvermeidlich zu Außenhandelsdefiziten. Mittlerweile verzeichnet die Türkei das sechstgrößte Handelsbilanzdefizit der Welt, allein im Dezember 2013 fiel ein Minus von 8,3 Milliarden US-Dollar im Außenhandel an und die US-Notenbank Fed stufte die Türkei im Februar 2014 aufgrund der Defizitproblematik als krisenanfälligstes Schwellenland ein. Indes geraten auch die türkischen Unternehmer zunehmend unter Schuldendruck. Der Niedergang der Türkischen Lira verteuert insbesondere die Einfuhr von Erdöl und Erdgas; seit 2008 stieg die Verschuldung der Unternehmen von 65 auf 170 Milliarden Dollar.
Von all dem auf Pump generierten Wachstum konnten große Teile der Bevölkerung in der Türkei kaum profitieren. Zwar hat sich das pro Kopf - Einkommen seit 2003 verfünffacht, allerdings landeten die Gewinne nur bei einer kleinen unternehmerischen Elite. Während das gesamte Durchschnittseinkommen in der Türkei 2012 bei knapp 10.000 Euro jährlich lag, verdienen die unteren 50 Prozent der Einkommensbezieher im Durchschnitt gerade einmal rund 4000 Euro im Jahr. Rund 12 Millionen Türken müssen mit einem Monatseinkommen von ca. 125 Euro auskommen. Besonders krass ist in der Türkei der Unterschied zwischen den Metropolregionen vor allem im Westen der Türkei und dem armen Osten, was zu einer regelrechten Landflucht geführt hat: Allein in den Jahren 2000 bis 2008 siedelten 5 Millionen Landbewohner in die Städte um.
Wie in vielen Schwellenländern geht die neoliberale Rechnung, wonach ein auf Schulden und Kredit basierender Wirtschaftsboom irgendwie schon bei den Massen ankomme, unter den spätkapitalistischen Bedingungen auch in der Türkei nicht mehr auf. Stattdessen verharrt ein Großteil der überschuldeten Bevölkerung in Armut, während die türkische Volkswirtschaft am Tropf internationaler Kapitalströme hängt. Der künstlich erzeugte Aufschwung fällt der Erdogan-Regierung gerade auf die Füße.

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 389

Ave »Handelsblatt«!

In Deinem Artikel »Was einen zum guten Chef macht« besprichst Du Managementratschläge des Stanford-Professors Bob Sutton und ziehst folgendes Fazit: »Ein Chef, der seine eigenen Mitarbeiter für Versager hält, muß sich erst einmal an die eigene Nase fassen, so Sutton. Keine neue Erkenntnis: Bereits der römische Senator Titus Petronius, Autor des Romans ›Satyricon‹, gab zu bedenken: Qualis dominus, talis et servus (Wie der Herr, so auch der Sklave).«

Und das bringt die spätkapitalistischen Zustände dann doch sehr hübsch auf den Punkt.

Morituri te salutant.

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 5/2014

Keine Leckerchen mehr

Mehrere aktuelle Studien beschäftigen sich mit der fortschreitenden Automatisierung der Arbeit. Einig sind sich die Autoren in der Diagnose. Eine Lösung des Problems ist aber nicht in Sicht.

Der ganze Artikel ist im Nachrichtenmagazin Hintergrund erschienen. Er ist nicht online verfügbar, daher kann ich ihn hier nicht veröffentlichen.
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